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„Und Gott sah, daß es schön war.” Mit diesem Ausdruck will aber nicht etwa gesagt sein, das Meer habe auf Gott einen gefälligen Eindruck gemacht. Denn der Schöpfer sieht die Schönheiten der Schöpfung nicht mit Augen, sondern er betrachtet die Dinge in seiner unerforschlichen Weisheit. Ein entzückendes Schauspiel ist es ja um das weißschäumende Meer, wenn lautlose Stille es umfängt, entzückend auch, wenn sanftes Windeswehen seinen Rücken kräuselt, und es bald purpurrot, bald dunkelblau aufleuchtet, wenn es nicht ungestüm das nahe Ufer peitscht, sondern gleichsam in friedlicher Umarmung es kosend umspült1. Aber nicht so, dürfen wir glauben, hat die Schrift es gemeint, da sie sagt, Gott habe das Meer schön und entzückend gefunden; vielmehr wird hier das Schöne nach dem Zwecke der Schöpfung beurteilt. Demnach ist das Meer schön erstens, weil das Meereswasser die Quelle aller Erdenfeuchtigkeit ist. Zerteilt in den verborgenen Gängen, wie ersichtlich an den porösen und zerklüfteten Teilen des Festlandes, in die das wogende Meer kanalartig sich ergießt, wird es zunächst in gewundenen, nicht direkt an die Oberfläche führenden Durchlässen eingeschlossen. Wenn nun der Wind das Meer bewegt, dann durchbricht das (unterirdische) Wasser die Oberfläche und fließt heraus; S. 70 infolge der Filtration verliert es die Bitterkeit und wird trinkbar. Wenn es aber beim Durchgange durch Metallschichten schon eine höhere Temperatur erreicht, so wird es eben infolge der Bewegung oft sogar siedend und glühend, wie man vielfach auf Inseln und an Küstenstrichen konstatieren kann. Um kleine Vorgänge neben großartige Erscheinungen zu stellen - es gibt sogar mitten auf dem Festlande gewisse Örtlichkeiten nahe von Flußwassern, wo Ähnliches sich abspielt. Wozu habe ich das gesagt? Zum Beweis, daß die ganze Erde unterminiert ist, und das Wasser in verborgenen Kanälen der Heimat des Meeres entrinnt.
Alexander v. Humboldt rühmt im Hinblick auf diese Stelle das Naturgefühl des Kappadoziers (Kosmos, Stuttgart 1857, Bd. II. S. 29). ↩
