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S. 80 Aber „auch fruchtbare Bäume,” heißt es, „welche Frucht tragen, die ihren Samen in sich haben, jeder nach seiner Art und Ähnlichkeit auf Erden1”. Auf dies Wort hin erwuchsen dichte Wälder, schossen empor die höchsten Bäume, wie die Fichten, die Zedern, Zypressen und Pechföhren, waren sofort da die dichten Gesträuche mit ihrem Laubschmuck, die sogenannten Kranzgewächse, die Rosen, Myrten und Lorbeerbäume; sie alle, die es zuvor auf der Erde nicht gab, traten in einem Augenblicke ins Dasein, ein jedes Gewächs mit seiner charakteristischen Eigenschaft, mit all seinen Unterscheidungsmerkmalen, mit seiner spezifischen Erkennungsmarke ? - Nur war damals noch die Rose ohne Dornen2; erst später kamen zur Schönheit der Blume die Dornen, damit der süße Genuß auch die Trauer in der Begleitung habe und wir der Sünde gedächten, derentwegen die Erde dazu verurteilt wurde, uns Dornen und Disteln zu tragen.
Aber die Erde bekam doch Befehl, sagt man, „fruchtbare Bäume, die Frucht tragen auf Erden, die ihren Samen in sich selber haben”, hervorzubringen; und doch sehen wir viele Blumen, die weder Früchte noch Samen haben! Was sollen wir erwidern? Zunächst, daß die von Natur vorzüglicheren Bäume vorzugsweise erwähnt wurden, dann, daß ein scharfes Auge entdecken wird, wie alle entweder Samen tragen oder eine den Samen gleichwertige Kraft besitzen. Die Schwarzpappeln, Weiden, Ulmen, die Weißpappeln und alle derartigen Bäume scheinen keine sichtbare Frucht zu tragen; aber einen Samen wird man bei genauem Zusehen in jedem dieser Bäume finden. Die Hülse3, die unten am Blatte hängt und die einige, die sich mit der Namengebung abgeben, Mischon4 nennen, hat die Kraft des Samens in sich. Denn alles, was naturgemäß von Zweigen ausgeht, schlägt meistens von da aus auch Wurzel. Bald S. 81 treten an Stelle des Samens auch die Wurzeltriebe, welche die Gärtner zur Fortpflanzung der Art abtrennen.
Zuerst aber sind, wie gesagt, alle jene Bäume der Erwähnung gewürdigt worden, die vorab unser Leben fristen, die den Menschen mit ihren Früchten beschenken und ihm reichliche Nahrung spenden sollten: Da ist der Weinstock, der Wein erzeugt, um das Menschenherz zu erfreuen5, der Ölbaum, der eine Frucht bringt, die das Antlitz durch Öl erheitern kann. Wieviele Naturerzeugnisse kommen da an einem Gewächs plötzlich zusammen! Die Wurzel des Weinstockes, die ringsum grünenden und weitauslangenden Reben über dem Boden, die Schossen, die Ranken, der Herling, die Trauben.
Und der Weinstock, besinnlich betrachtet, erinnert dich laut genug an deine eigene Natur. Denn du erinnerst dich sicher an das Gleichnis des Herrn, in dem er sich selbst einen Weinstock, seinen Vater den Gärtner und uns alle, die wir durch den Glauben der Kirche eingepflanzt sind, Reben genannt hat6, und uns mahnt, viele Früchte zu bringen7, damit wir nicht wegen Unfruchtbarkeit verdammt und dem Feuer überantwortet werden. Und immer wieder und überall vergleicht er die Menschenseele mit dem Weinstock: „Ein Weinberg”, sagt er8, „ward meinem Lieblinge auf der Höhe an ergiebiger Stelle.” Und: „Ich habe einen Weinberg gepflanzt und mit einem Zaune umgeben9.” Offenbar versteht er unter Weinberg die Menschenseelen, die er mit einem Zaune, d. h. mit dem Wall der Gebote und der Wache der Engel umgeben hat. „Denn der Engel des Herrn wird die beschützen, die ihn fürchten10.” Sodann hat er gleichsam Schutzwehren um uns aufgestellt, indem er in der Kirche zuerst die Apostel, dann die Propheten und endlich die Lehrer bestellte11, indem er mit S. 82 dem Beispiele der alten, seligen Männer unser Gemüt emporhob und nicht zuließ, daß es zu Boden gedrückt und mit Füßen zerstampft zu werden verdiente. Er will auch, daß wir den Nächsten mit den Umarmungen der Liebe gleichsam wie mit Ranken umfassen und davon nicht ablassen, damit wir immer den Zug nach oben haben und wie an Bäumen gezogene Weinstöcke bis zu den höchsten Gipfeln emporsteigen. Er verlangt von uns, daß wir uns auch eingraben lassen. Eingegraben aber wird die Seele in der Abschüttelung der Weltsorgen, die eine Belastung unseres Herzens sind. Wer also die fleischliche Liebe und die Begierde nach Reichtum ablegt oder die Sucht nach erbärmlichem, eitlem Ruhm abscheulich und verächtlich findet, der ist gleichsam eingegraben und atmet wieder auf, weil er sich der törichten Last irdischer Gesinnung entledigt hat. Es darf aber der Weinstock - nach dem Sprichwort - nicht zu sehr ins Holz wachsen, d.h. wir dürfen nicht einherstolzieren und nach dem Lobe der Draußenstehenden jagen, sondern wir sollen fruchtbar sein, um dem wahren Gärtner unsere Schätze vorzeigen zu können. Du aber „sei wie ein fruchtbarer Ölbaum im Hause Gottes12”, immer voll Hoffnung und voll Sorge um das im Glauben dir erblühende Heil. So wirst du dem Immergrün des Ölbaumes gleichen, wirst wie er viele Frucht bringen und zu jeder Zeit reichlich Almosen spenden.
Gen 1,11 ↩
Auch Ambrosius (Hexaemeron, lib. III c. 11) und Augustin (De genes, cont. Manich, lib. I c. 13) teilen diese Meinung ↩
κόκκος ↩
μίσχον. Eigentlich Blatt- und Fruchtstiel ↩
vgl. Ps 103,15 ↩
Joh 15,1 ↩
Joh 15,5 ↩
nämlich durch Jesias in c. 5,1 ↩
Mt 21,33 ↩
Ps 33,8 ↩
vgl. 1 Kor 12,28 ↩
Ps 51,10 ↩
