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So mannigfach und verschieden ist also die Entstehungsweise der Bäume, um von so vielem nur ganz wenig zu sagen. Wer aber möchte die Mannigfaltigkeit der Früchte selbst aufzählen, ihre Gestalten, Farben, die Eigentümlichkeit ihres Geschmackes und die jeweilige Verwertbarkeit? Wer schildern, wie einige ohne Hülse von der Sonne gekocht werden, andere in Hülsen S. 85 eingeschlossen reifen, wie die Bäume, deren Frucht zart ist, eine dichte Blätterdecke haben, so die Feige, diejenigen aber, deren Früchte härter, einen leichten Blätterschutz haben, so der Nußbaum. Die ersteren bedurften wegen ihrer Schwäche eines stärkeren Schutzes; letzteren aber wäre eine dichtere Decke wegen des Schattens der Blätter schädlich gewesen. Wie (weise) ist doch das Blatt des Weinstockes gespalten, daß die Traube den schädlichen Einflüssen der Luft widerstehe und anderseits den Sonnenstrahl durch die Dünne reichlich aufnehme! Nichts ohne Ursache, nichts durch Zufall; alles verrät eine unaussprechliche Weisheit. Welche Rede könnte alles erschöpfen? Wie könnte menschlicher Verstand alles genau durchgehen, so daß er alle die Eigentümlichkeiten erkennen, die Verschiedenheiten eines jeden Dinges deutlich unterscheiden und die verborgenen Ursachen vollständig darstellen könnte?
Ein und dasselbe Wasser, von der Wurzel aufgesogen, nährt anders die Wurzel selbst, anders die Rinde des Stammes, anders das Holz, anders den Kern. Ebendasselbe Wasser wird auch Blatt, teilt sich in Äste und Zweige und gibt den Früchten das Wachstum; auch die Träne und der Saft des Baumes entquillen derselben Ursache. Aber wie groß die hier obwaltende gegenseitige Verschiedenheit ist, kann mit keinem Worte ausgedrückt werden. Anders ist nämlich die Träne des Mastixbaumes, anders der Saft der Balsamstaude. Und einige Doldenpflanzen in Ägypten und Libyen weinen wieder eine andere Art von Säften aus. Auch soll der Bernstein zu Stein verhärteter Pflanzensaft sein1. Ein Beleg für diese Ansicht sind die in ihm vorkommenden Hälmchen und sehr kleinen Tierchen, die sich auf den einst weichen Saft setzten und darin eingeschlossen wurden. Wer nicht die verschiedensten Eigenschaften der Säfte aus Erfahrung kennen gelernt hat, wird überhaupt nie die Sprache finden, deren Wirksamkeit darzustellen. Wie bildet sich aus derselben Feuchtigkeit im Weinstocke Wein, im Ölbaum Öl? Nicht bloß das ist S. 85 erstaunlich, wie dort die Feuchtigkeit süß, hier fettig geworden ist, sondern daß auch unter den süßen Früchten selbst die unglaublichste Differenz in der Eigenschaft („süß”) obwaltet. Denn anders ist die Süßigkeit im Weinstocke, anders im Apfelbaum, anders in Feige und Palme. Ferner wünsche ich dir allen Eifer zur Untersuchung, wie dasselbe Wasser bald mild schmeckt, wenn es in gewissen Bäumen ist und dadurch süß wird, bald herb schmeckt, wenn es durch andere Bäume fließt und dabei sauer wird, und wie es im Wermut und Skamonienkraut sogar zur höchsten Bitterkeit sich steigert und den Gaumen angreift. Auch in den Eicheln und Hagebutten nimmt es die saure2 und herbe Eigenschaft an, während es in den Terebinthen und Nußbäumen eine zarte und ölige Natur bekommt.
