3.
Jede Fischart hat auch ihre besondere Nahrung. Die einen nähren sich vom Schlamme, die andern vom Seegrase; wieder andere begnügen sich mit Kräutern, die im Wasser wachsen. Die meisten Fische aber sind Fischfresser: der kleinere ist die Nahrung für den größeren1. Kann auch vorkommen, daß ein Fisch, der sich eines schwächeren bemächtigt hat, Beute eines dritten wird und so schließlich beide in den einen Magen des letzteren kommen. - Was tun wir Menschen anders, wenn wir tyrannisch die Schwächeren unterdrücken? Wie unterscheidet sich vom letzteren (Raub-)Fisch der, der aus unersättlicher Gier nach Reichtum die Schwachen im unausfüllbaren Magen seiner Habsucht verschlingt? Jener besaß die Habe des Armen; du aber hast ihn gepackt und zu einem Teil deines Reichtums gemacht. Du hast dich damit als den Ungerechten der Ungerechten, als den Habsüchtigsten der Habsüchtigen verraten. Sieh zu, daß dich nicht dasselbe Ende der Fische erwarte, irgendeine Angel, eine Fischreuse oder ein Netz. Denn sicher werden auch wir, wenn wir viel Unrecht begangen haben, am Ende der Strafe nicht entrinnen. Wenn du nun schon bei einem schwachen Tiere viel Bosheit und Hinterlist gewahrst, dann möchte ich dich vor der Nachahmung des Verruchten warnen.
Den Krebs gelüstet nach dem Fleisch der Auster; aber wegen der harten Schale kann er der Beute schwer habhaft werden. Denn mit unzerbrechlicher Hülle hat die Natur das zarte Fleisch geschützt, weshalb sie auch „hartschalige2” genannt wird. Und weil zwei genau aufeinanderpassende Schalen die Auster umgeben, so sind natürlich die Scheren des Krebses nicht praktisch. Was, S. 115 tut er nun? Wenn er sieht, wie die Auster an windstillen Plätzchen behaglich sich wärmt und ihre Schalen gegen die Sonnenstrahlen öffnet, dann wirft er unversehens ein Steinchen dazwischen, verhindert so die Verschließung und ersetzt damit, wie man sieht, mit List das, was ihm an Kraft fehlt3. Das ist die Bosheit von vernunftlosen und stummen Tieren. - Ich möchte dir den Erwerbssinn und die Geschicklichkeit der Krebse wünschen, ohne daß du dabei dem Nächsten schadest. Einem Krebse gleicht derjenige, der sich arglistig an seinen Bruder heranmacht, auf das Unglück seines Nebenmenschen ausgeht und sich über fremdes Mißgeschick freut. Hüte dich, verruchte Menschen nachzuahmen! Sei zufrieden mit deinem Lose! Armut mit wahrer Genügsamkeit ist den Weisen lieber als jeder Genuss.
Ich möchte die List und Raubsucht des Polypen nicht übergehen, der von jedem Felsen, an den er sich hängt, die Farbe annimmt. Daher schwimmen so viele Fische unvorsichtig dem Polypen wie auf einen Felsen zu, und werden so dem Listigen eine willkommene Beute4. - Solcher Art sind die Leute, die es mit den jeweils herrschenden Machthabern halten, sich den jeweiligen Umständen anpassen, nicht beharrlich in ihrer Gesinnung bleiben, sondern leicht bald so, bald anders sind, keusch mit den Keuschen, unzüchtig unter Unzüchtigen, und nach jedes Gefallen ihre Ansicht ändern. Solchen ist nicht leicht auszuweichen, noch vor Benachteiligung ihrerseits sich zu schützen, weil sie unter der Maske der Freundschaft5 ihre wohlüberlegte Bosheit verborgen halten. Solche Charaktere nennt der Herr reißende Wölfe, die in Schafskleidern auftreten6. Fliehe solchen Wankelmut und solche Charakterlosigkeit! Folge der Wahrheit, der Aufrichtigkeit und Einfalt! Die Schlange ist vielfarbig (und verschlagen), ist darum S. 116 auch zum Kriechen verdammt worden. Der Gerechte kennt keine Verstellung, wie Jakok7. Deshalb „läßt der Herr die Gleichgesinnten in einem Hause zusammenwohnen8”. „Da ist das große und geräumige Meer; darin sind kriechende Tiere ohne Zahl, kleine und große9.” Aber dennoch herrscht bei ihnen eine weise und gute Ordnung.
Allein wir haben die Fische nicht bloß anzuklagen; manches an ihnen ist auch nachahmenswert. Wie haben doch die Fischarten je einen entsprechenden Strich sich zugeteilt, betreten kein fremdes Gebiet, sondern bleiben in ihren Grenzen! Und doch hat ihnen kein Geometer die Behausungen zugeteilt, noch sind sie von Mauern umschlossen oder durch Grenzsteine abgeteilt; von Natur ist jeder Fischart der geeignete Bereich festgesetzt. So nährt dieser Meerbusen diese Fischarten, jener andere; und die hier in Masse vorkommen, findet man anderswo kaum. Keine Bergkette mit hohen Gipfeln trennt sie, kein Fluß hindert den Übergang; vielmehr hat ein Naturgesetz gleichmäßig und gerecht die Lebensbedürfnisse der einzelnen Fischarten befriedigt.
vgl. Arist., de anim. VIII,2 ↩
ὀστϱακόδεϱμον. Vgl. Arist., de hist. anim. I,6 ↩
vgl. Oppianus, de piscatione II,167 ↩
Basilius folgt in der Beschreibung des Polypen teils Aristoteles (hist. anim. IX, 37), teils dem Dichter Oppianus (de pisc. II, 232). ↩
einige Handschriften bieten εὐλαβεἰας (= der Frömmigkeit) statt ϕιλἰας ↩
vgl. Mt 7,15 ↩
Gen 25,27. Andere Lesarten haben „Job” ↩
Ps 67,7 ↩
Ps 108,25.26 ↩
