6.
Es höre aber auch der Mann die ihm geltende Mahnung! Die Viper speit aus Ehrfurcht vor der Ehe ihr Gift aus; und du solltest deine Herzenshärte und Unmenschlichkeit nicht ablegen aus Ehrfurcht vor der ehelichen Verbindung! - Vielleicht ist uns das Beispiel der Viper noch nach einer anderen Seite hin lehrreich: Die Vermischung der Viper mit der Wasserschlange ist doch gewissermaßen ein natürlicher Ehebruch. Die nach S. 120 fremdem Ehebett gelüsten, sollen sich sagen lassen, welchem Gewürm sie gleichen. Ich habe nur den einen Zweck, die Gemeinde auf jede Weise zu erbauen. Die Leidenschaften der Unenthaltsamen sollen durch Beispiele aus der Welt der Land- und Wassertiere gedämpft und gezügelt werden.
Hier muß ich aber meine Rede schließen; meine Erschöpfung und die späte Stunde nötigen mich dazu, obschon ich für die aufmerksamen Zuhörer noch viele staunenswerte Dinge über die Lebewelt im Meere und über das Meer selbst hinzuzufügen hätte - über das Meer selbst z. B., wie das Wasser zu Salz wird, wie die kostbare Koralle, im Meere eine Pflanze, an der Luft zu einem harten Stein sich verhärtet, warum die Natur in das unansehnlichste Tierchen, in die Perlmuttermuschel, die hochgeschätzte Perle gelegt hat. Was die Schatzkammern der Könige begehren, das liegt an den Gestaden und Ufern und rauhen Felsen ausgestreut und in Muschelschalen verborgen. Womit nährt die Steckmuschel die goldene Wolle, die bisher noch kein Schönfärber nachgemacht hat? Woher geben die Purpurschnecken den Königen den Purpur, der an Farbenpracht selbst die Blumen der Wiesen zurücklässt?
„Die Wasser bringen hervor!” Was gibt es da an Notwendigem, das nicht geworden wäre, was an Kostbarem, das uns nicht zum Leben geschenkt wurde? Das eine ist für die Menschen da zur Nutznießung, das andere zur Betrachtung des Schöpfungswunders. Wieder andere Dinge sind schrecklich, um unserm Leichtsinn zu wehren. „Gott schuf die großen Walfische1.” Sie werden nicht groß genannt, weil sie größer sind als Krabbe und Mäna, sondern weil sie mit ihrer Körpermasse den größten Bergen gleichen und oft den Eindruck von Inseln machen, wenn sie einmal an die Oberfläche des Wassers auftauchen. Sie halten sich nicht an Ufern und Gestaden auf, sondern hausen im sogenannten Atlantischen Ozean. Uns zur Furcht und zum Schrecken sind diese Tiere so geschaffen worden. Und wenn du hörst, S. 121 daß das kleine Fischlein Echeneis2 die größten, mit vollen Segeln und bei günstigem Winde fahrenden Schiffe so leicht anhält, daß er das Schiff sehr lange unbeweglich festhält, gleichsam als wäre es im Meere festgewurzelt, findest du dann nicht auch bei diesem kleinen Tiere den nämlichen Beweis für die Macht des Schöpfers? Nicht nur die Schwert-, Säge-, Hund-, Wal- und Hammerfische sind furchtbar, sondern sogar der Stachel des Stachelrochen, und zwar des toten3, und der Seehase sind nicht weniger furchtbar, weil sie schnellen und unvermeidlichen Tod bringen4. So will der Schöpfer dich immer wachsam haben, damit du in der Hoffnung auf Gott allen Fährlichkeiten entrinnst.
Doch laßt uns jetzt aus den Tiefen zurückeilen und aufs Festland uns flüchten. Es haben ja die vielen Wunder der Schöpfung nacheinander uns ergriffen und wie ein unaufhörlicher Wogenschwall unsere Rede in die Tiefe gezogen. Und doch würde es mich wundern, wenn unser Geist, der auf dem Festlande zwar noch größere Wunder gesehen, nicht wieder gern nach Jonas' Beispiel aufs Meer eilte. Es scheint mir aber der Vortrag, der auf tausend Wunder gestoßen ist, Maß und Ziel vergessen zu haben und in denselben Fehler verfallen zu sein, den die Seeleute machen, die ohne festes Ziel auf dem Meere herumsegeln und am Ende oft nicht wissen, welche Strecke sie durchlaufen haben. Das scheint auch bei uns der Fall zu sein: Unsere Rede durcheilte die Schöpfung, ohne der Fülle des Gesagten gewahr geworden zu sein. Allein wenn auch diese ehrwürdige Versammlung freudig zuhört, und die Erzählung von den Wundern des Herrn in den Ohren seiner Diener angenehm klingt, so wollen wir doch hier unsere Rede schließen und für die Fortsetzung den Tag abwarten. - Erheben wir uns alle, um für das Gesagte zu S. 122 danken und um die Vollendung des noch Fehlenden zu bitten! Möge der Inhalt meiner Morgen- und Abendpredigt auch bei der Einnahme der Mahlzeit euer Tischgespräch sein! Ja, möchtet ihr selbst im Schlafe euch mit diesen Gedanken beschäftigen, und auch im Schlafe die Freude des Tages verkosten, auf daß ihr sagen könnt: „Ich schlafe, aber mein Herz wacht5”, indem es Tag und Nacht das Gesetz des Herrn betrachtet, dem Ehre und Macht in alle Ewigkeit. Amen.
Gen 1,21 ↩
ἐχενηίς = Schiffshalter. Zu dessen Schilderung vgl. Oppianus, de pisc. I,217; Aelian, I. c. II. 17 ↩
Plinius (I. c. IX, 72) berichtet, die Stacheln seien bis 5 Zoll lang, und Aelian (b01. c. I, 56) nennt die Verwundung durch solche Stacheln „unheilbar”. ↩
Vgl. hiezu Plinius, der (b01. c. IX, 72) ihn als äußerst gefährlich kennt. ↩
Hld 5,2 ↩
