3.
„Die Erde bringe hervor eine lebendige Seele.” Es lag also die Seele der Tiere nicht etwa in der Erde verborgen und kam nun hervor, sondern zugleich mit dem Befehle trat sie ins Dasein. Eine aber ist die Seele der Tiere; das einzig Charakteristische an ihr ist die Unvernunft. Durch besondere Eigenschaften ist aber jedes Tier gekennzeichnet: Stark ist der Ochs, faul der Esel, brünstig das Pferd von Verlangen nach der Stute, unzähmbar der Wolf, listig der Fuchs, furchtsam der S. 143 Hirsch, arbeitsam die Ameise, dankbar der Hund und in meiner Freundschaft treu. In einem Akte wurde jedes erschaffen und empfing seine natürliche Besonderheit. Mitgeboren ward mit dem Löwen sein Mut, seine einsame Lebensweise und seine Ungeselligkeit. Gleichsam der Beherrscher der Tierwelt, duldet er aus natürlichem Stolze die Gleichstellung mit einer Vielheit nicht. Er rührt auch die Speise vom Vortage nicht mehr an, kehrt nicht mehr zu den Überresten seiner Beute zurück. Ihm hat die Natur auch solch gewaltiges Stimmorgan gegeben, daß viele Tiere, die ihn an Schnelligkeit übertreffen, oft schon durch sein Gebrüll gefangen werden. Reißend ist der Panther und angriffslustig; sein Körper, beweglich und behende zugleich, folgt leicht den Regungen der Seele. Träge ist die Natur des Bären, eigenartig sein Wesen, verschlagen und sehr verschlossen. Dementsprechend ist auch sein Körper, schwerfällig, gedrungen, ungelenk, geschaffen für die kalte Höhle, in der er haust.
Gehen wir nun in unserer Rede durch, welch große, nicht erlernte, sondern angeborne Sorge für ihr Leben diesen unvernünftigen Tieren eigen ist, dann werden wir entweder zur Bewachung unserer selbst und zur Sorge für unser Seelenheil bewogen werden, oder wir werden ein noch strengeres Gericht zu gewärtigen haben, wenn wir es nicht einmal zur Nachahmung der unvernünftigen Geschöpfe gebracht haben. Der Bär, der tiefe Wunden empfangen hat, heilt sich in der Regel selbst, indem er die Verletzungen mit aller Kunst mit jenem (heilkräftigen) austrocknenden Wollkraut1 verstopft. Man kann auch beobachten, wie der Fuchs mit Fichtentränen sich heilt. Die Schildkröte, die sich von Otternfleisch vollgefressen hat, entgeht der schädlichen Wirkung des Giftes durch die Gegenwirkung des Dosten2. Auch die Schlange heilt das Augenleiden durch Genuß von Fenchel3.
S. 144 Wieviel vernünftige Einsicht verrät nicht die Prognose der Luftveränderungen! So zeigt das Schaf beim Nahen des Winters eine besondere Freßlust, als wollte es sich für das künftige Bedürfnis mit Speise vorsehen4. Die Rinder, die zur Winterszeit lange eingeschlossen sind, merken beim Herannahen des Frühlings mit ihrem natürlichen Instinkt den Wechsel, schauen aus den Ställen nach den Ausgängen, und wie auf ein Zeichen hin ändern alle ihre Haltung5. Auch haben schon einige fleißige Beobachter gemerkt, wie der Erdigel an seiner Höhle zwei Luftlöcher anbringt und bei einsetzendem Nordwind das nördliche verstopft, sich aber zum nördlichen zurückzieht, wenn der Südwind wieder einsetzt6.
Was wird dadurch uns Menschen angedeutet? Nicht bloß das durchgängige Walten der Fürsorge unseres Schöpfers, sondern auch die Begabung der Tiere mit einem Blicke für die Zukunft, auf daß auch wir nicht an diesem gegenwärtigen Leben hängen, sondern unsere ganze Sorge auf das künftige Leben verwenden möchten. Willst du nicht gern deinetwegen dich abmühen, o Mensch, willst du nicht in diesem Leben dir die Güter der künftigen Ruhe sichern, wenn du auf das Beispiel der Ameise siehst? Diese sammelt sich im Sommer ihre Speise für den Winter und läßt die Zeit bis zum Eintritt des traurigen Winters nicht im Leichtsinn verstreichen, sondern strengt sich bei der Arbeit mit unermüdlichem Fleiße an, bis sie in ihren Zellen genügend Nahrung aufgespeichert hat. Auch geht sie dabei nicht nachlässig zu Werke, sondern sinnt in klugem Nachdenken darauf, die Nahrung möglichst lange zu konservieren. Sie zernagt nämlich mit ihrem Gebisse die Früchte in ihrem innersten Kern, damit sie nicht keimen und für sie ungenießbar werden. Auch trocknet sie die Früchte, wenn sie merkt, daß sie feucht geworden sind, legt sie aber nicht jederzeit heraus, sondern nur, wenn sie anhaltend gute Witterung voraussieht. Sicher sieht man keinen S. 145 Regen aus den Wolken fallen, solange die Ameise ihr Getreide auslegt7.
Welche Rede reichte hin, welches Ohr möchte fassen, welche Zeit genügte, alle die Wunder des Schöpfers zu nennen und zu schildern? So wollen auch wir mit dem Propheten sagen: „Wie groß sind deine Werke, o Herr! Alles hast du mit Weisheit gemacht8!” Es genügt daher zu unserer Entschuldigung nicht (zu sagen), daß wir durch Schriften über das Nützliche nicht belehrt werden, da uns doch ohne Belehrung, durch das Gesetz der Natur die Wahl des Nützlichen ermöglicht ist. Weißt du, was Gutes du dem Nächsten tun sollst? Was du willst, daß es dir von einem andern getan werde. Weißt du, was böse ist? Was du selbst von einem andern nicht leiden möchtest. Keine Arzneikunst, keine Pflanzenkunde hat den Tieren Aufschluß über das ihnen Zuträgliche gegeben, sondern von Natur besorgt sich jedes Tier, was zu seiner Wohlfahrt dient, und es hat eine ganz unglaubliche Vertrautheit mit der Natur.
das Flomiskraut fand mannigfache medizinische Verwendung - vgl. Plinius 1. c. XX,68 und XXV,120f; Aelian, 1. c. VI,3 ↩
ὀϱίγανος - eine Art von Majoran: vgl. Aenian, 1. c. III,5 ↩
vgl. (Ps.-)Plutarch, πότεϱα τν ζων.. 731 ↩
Aelian, 1. c. VII,8 ↩
vgl. Aelian, 1. c. VI,16 ↩
vgl. Arist., hist. anim. IX,6; Aelian, 1. c. III,10 ↩
vgl. Aelian, 1. c. II,25 und VI,43; auch (Ps.-)Plutarch 1. c. 725 ↩
Ps 103,24 ↩
