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Doch kehren wir zur Betrachtung der Schöpfung zurück! Die Tiere, die man leichter einfängt, sind fruchtbarer. Deshalb haben die Hasen und wilden Ziegen viele Junge und werfen die wilden Schafe Zwillinge, damit nicht das Geschlecht von den Fleischfressern ganz aufgefressen wird und ausstirbt. Die Tiere aber, die andere verzehren, sind weniger fruchtbar. Daher wird die Löwin kaum eines Löwen Mutter1; mit seinen S. 148 scharfen Klauen soll er bei der Geburt die Gebärmutter aufreißen. Auch die Nattern kommen so zur Welt, daß sie den Mutterleib zernagen und so der Mutter mit gebührendem Lohne vergelten2. So gibt es in der Kreatur nichts Unvorhergesehenes, nichts ohne den nötigen Schutz. - Auch wenn du auf die Glieder der Tiere siehst, wirst du finden, daß der Schöpfer kein überflüssiges gegeben, kein notwendiges fortgelassen hat. Den Fleischfressern gab er scharfe Zähne; solche brauchten sie im Hinblick auf die Art ihrer Ernährung. Die nur hälftig mit Zähnen bewaffnet sind, versah er mit vielen, mannigfachen Speisebehältern. Weil von diesen die Speise beim ersten Genuß nicht genügend zermalmt wird, ermöglichte er ihnen, das Geschluckte wieder heraufzuholen und durch Wiederkauen so zu zermalmen, daß es sich zur Ernährung eignet. Die Schlünde, die zweiten und dritten Mägen und großen Eingeweide sind den betreffenden Tieren nicht umsonst gegeben worden, vielmehr erfüllt jeder Teil seinen notwendigen Dienst. Der Hals des Kamels ist lang, den Füßen angemessen, um das Gras zu erreichen, von dem es lebt. Kurz und fast unter den Schultern versteckt ist der Hals des Bären, Löwen, Tigers und der übrigen derartigen Tiere, weil nicht das Gras ihre Nahrung ist und sie sich nicht zur Erde bücken müssen, sondern weil sie Fleischfresser sind und sich vom Raub der Tiere erhalten. Was soll der Rüssel beim Elefanten? Das große, unter den Landtieren größte Tier, das zum Schrecken derer, die ihm begegnen, geschaffen wurde, mußte einen feisten, fleischigen Körper haben. Wäre ihm nun ein langer, den Füßen entsprechender Hals gegeben worden, dann könnte er kaum gelenkt werden und würde wegen der übermäßigen Schwere immer nach unten sinken. Nun ist aber der Kopf nur durch wenige Nackenwirbel mit dem Rückgrate verbunden, und der Rüssel versieht den Dienst des Halses, nimmt die Speise auf und schlürft den Trank ein. Aber auch seine Füße sind ungelenk und wie Säulen geformt, um die Last zu tragen. Wenn S. 149 ihm nämlich schlanke und gelenkige Füße gegeben wären, so würden immer Gliederverrenkungen eintreten; sie könnten die Last nicht tragen, so oft er niederknien oder wieder aufstehen wollte. Nun aber hat der untere Fuß des Elefanten nur einen kleinen Knöchel, ist sonst ohne Gelenk und ohne Knie; gelenkige Glieder könnten die dicke, wackelige Fleischmasse dieses Tieres nicht tragen. Deshalb bedurfte es auch der bis auf die Füße hinabreichenden Nase. Siehst du nicht, wie sie im Kriege gleich lebendigen Türmen dem Heere vorangehen oder gleich Fleischhügeln in unwiderstehlichem Angriffe die Schlachtreihen der Feinde durchbrechen? Würden die unteren Teile den Fleischmassen nicht entsprechen, so könnte das Tier überhaupt nicht leben. Nun aber erzählen manche, daß der Elefant dreihundert Jahre und darüber alt werde3. Deshalb sind seine Füße kompakt und nicht gelenkig. Sein Rüssel aber hebt, wie gesagt, die Speise von der Erde auf, weil er schlangenförmig ist und von Natur noch geschmeidiger. So bleibt wahr das Wort, daß es nichts Überflüssiges und nichts Lückenhaftes in der Schöpfung gibt.
Dieses Riesentier aber hat Gott uns untertänig gemacht, daß es sich abrichten und schlagen läßt, und belehrt uns damit deutlich, daß er uns alles unterworfen hat, weil wir nach dem Bilde des Schöpfers erschaffen worden sind. Doch nicht bloß in den großen Tieren läßt sich seine unergründliche Weisheit betrachten; auch in den kleinsten können wir kaum weniger Wunderbares beobachten. Wie ich die hohen Bergesgipfel, die, den Wolken nahe und stets vom Frosthauch umweht, ewig Winter haben, nicht mehr anstaune als die Talgründe, die nicht unter der frostigen Höhenluft leiden, die vielmehr immer laue Luft durchstreicht, ebenso bewundere ich unter den Tiergestalten den Elefanten ob seiner Größe nicht mehr als die dem Elefanten furchtbare Maus oder als den feinsten Stachel des Skorpions, den der Werkmeister wie eine Röhre ausgehöhlt hat, damit durch ihn das Gift in die Wunden dringe4. Niemand klage den S. 150 Schöpfer an, daß er giftige, gefährliche und unserem Leben feindliche Tiere erschaffen hat. Sonst könnte man ebenso auch einen Lehrer tadeln, der um der Zucht und Ordnung willen den Leichtsinn und die Ausgelassenheit der Jugend mit Stock und Rute züchtigt.
