6.
Für den Glauben ein Beweis sind die wilden Tiere. Vertraust du auf den Herrn? „Auf Nattern und Basilisken wirst du wandeln und niedertreten Löwen und Drachen1.” Und du hast im Glauben die Gewalt, über Schlangen und Skorpione zu gehen2. Oder siehst du nicht, wie einem Paulus beim Reisigsammeln eine Natter sich an die Hand hängte, ohne ihm ein Leid zuzufügen, weil der Heilige des Glaubens voll befunden ward3? Bist du aber ungläubig, so fürchte das Wild nicht mehr als deinen Unglauben, durch den du dich jedem Unheil preisgegeben hast!
Aber ich merke schon längst, daß man von mir die Erschaffung des Menschen vernehmen möchte, ich aber nur nicht zu hören scheine, was meine Hörer in ihren Herzen mir zurufen: „Über die Natur der Dinge um uns bekommen wir Aufschluß; uns selbst aber kennen wir nicht.” So müssen wir darüber reden und dürfen keinen weiteren Aufschub dulden.
In der Tat scheint das Schwerste zu sein, sich selbst zu erkennen. Das Auge, das die Außenwelt sieht, gebraucht seine Sehkraft nicht zum Blicke auf sich selbst; und auch unser Verstand, der scharf auf die fremde Sünde sieht, ist stumpf bei der Erkenntnis der eigenen Schwächen4. Deshalb ist auch jetzt unsere Rede, die peinlich genau auf anderweitige Dinge eingegangen ist, so träge und säumig in der Untersuchung der eigenen Person. Und doch können wir Gott aus Himmel und Erde nicht besser kennen lernen als aus unserer eigenen Beschaffenheit. Das ist wenigstens der Fall bei dem, der sich selbst verständig erforscht, wie der Prophet S. 151 sagt: „Wunderbar ward das Wissen von dir an mir selbst5”, d. h. dadurch, daß ich mich kennen lernte, ward ich auch unterrichtet in deiner erhabenen Weisheit.
„Und Gott sprach: Laßt uns einen Menschen machen6.” Wo ist der Jude, der im Bisherigen, wo das Licht der Theologie7 gleichsam durch die Fenster leuchtet und die zweite Person geheimnisvoll angedeutet, wenn auch noch nicht deutlich sichtbar wird, gegen die Wahrheit ankämpfen wollte mit der Behauptung, Gott rede hier mit sich selbst? Denn er sprach, heißt es, und er machte. „Es werde Licht, und es ward Licht8.” Schon hier lag also die Ungereimtheit ihrer Behauptung auf der Hand9. Denn welcher Schmied oder Zimmermann oder Schuster, der allein, ohne Gehilfen, bei seinen Werkzeugen sitzt, sagt zu sich selbst: „Laßt uns das Schwert machen oder den Pflug zusammensetzen oder den Schuh anfertigen”, anstatt stillschweigend die anfallende Arbeit zu vollbringen? Es wäre doch wirklich ein sonderlich Reden, wenn jemand dasäße als Herr und Gebieter und an sich selbst nicht gebietende und herrische Worte richtete. Und doch, was können Leute nicht alles sagen, die ungescheut den Herrn selbst lästern und eine im Lügen geübte Zunge haben! Aber vorstehender Ausdruck wird ihnen den Mund stopfen. „Und Gott sprach: Laßt uns einen Menschen machen.” Sage mir ja nicht auch hier, es handle sich um eine einzige Person! Es heißt ja nicht: „Es werde der Mensch”, sondern: „Laßt uns einen Menschen machen.” Solange der, welcher belehrt werden sollte10, noch nicht da war, lag die Lehre über Gott noch im Verborgenen verhüllt; wie aber nun die Erschaffung des Menschen zu erwarten steht, da enthüllt sich der Glaube, und deutlicher offenbart sich die Lehre der Wahrheit. „Laßt uns einen Menschen machen.” Du hörst es, Christusgegner, wie Gott zum Teilnehmer S. 152 an seinem Schöpfungswerke spricht, „durch den er auch die Zeiten geschaffen, der alles trägt mit dem Worte seiner Macht11”. Doch der Jude nimmt das Wort gottesfürchtigen Glaubens nicht willig hin. Gleich blutdürstigsten Tieren, die in ihren Käfigen eingesperrt sind, an den Gittern auf und ab wüten und ihre wilde, grimmige Natur zeigen, ohne ihre Wut befriedigen zu können, wollen auch die wahrheitsfeindlichen Juden, in die Enge getrieben, behaupten, es seien viele Personen, an die das Wort Gottes ergangen. Zu den ihn umstehenden Engeln soll er gesagt haben: „Laßt uns einen Menschen machen.” Das ist jüdische Fiktion, eine Erdichtung ihrer Frivolität. Um den einen nicht annehmen zu müssen, nehmen sie Tausende an. Den Sohn verwerfen sie und übertragen so auf Diener die Würde von Ratgebern und machen unsere Mitknechte zu Herren unserer Erschaffung. Der vollkommene Mensch erschwingt sich zur Würde der Engel. Welches Geschöpf kann aber dem Schöpfer gleich sein? Sieh aber auch noch auf folgende Worte: „Nach unserm Ebenbilde.” Was sagst du dazu? Es ist dann wohl das Ebenbild Gottes und der Engel ein und dasselbe? Vater und Sohn müssen ja ganz notwendig dieselbe Gestalt haben, die Gestalt natürlich Gott entsprechend gedacht, nicht als eine menschliche Figur, sondern in der Eigentümlichkeit der Gottheit. Höre auch du aus der neuen Beschneidung, der du unter der Maske des Christentums dem Judentum anhängst12! Zu wem spricht er: „Nach unserm Bilde”? Zu wem anders als zum „Abglanze seiner Herrlichkeit” und zum „Ebenbilde seines Wesens13”, der da ist das „Bild des unsichtbaren Gottes14”? Zu seinem eigenen lebendigen Ebenbilde spricht er doch, das da gesagt hat: „Ich und der Vater sind eins15”, und „wer mich sieht, sieht den Vater16”. Zu eben diesem spricht er: „Laßt uns einen Menschen machen nach unserm Ebenbilde.” Wo S. 153 aber ein und dasselbe Bild, wo ist da die Ungleichheit17? „Und Gott machte den Menschen” - nicht: sie machten. Hier vermied Moses die Mehrzahl der Personen. Mit ersteren Worten belehrt er die Juden, mit letzteren weist er das Heidentum zurück und kehrt dann unbeirrt zur Einheit zurück, damit du den Sohn mit dem Vater erkennen und der Gefahr der Vielgötterei entrinnen mögest. „Im Bilde Gottes schuf er ihn18.” Wieder führt er hier die Person des Mitschöpfers ein. Denn er sagte nicht „in seinem Bilde”, sondern „im Bilde Gottes”.
Inwiefern nun der Mensch die Gottesebenbildlichkeit hat, und wie er an seiner Ähnlichkeit teil hat, das wird, so Gott will, später erörtert werden. Für jetzt wollen wir nur so viel sagen: Wenn es nur ein Ebenbild gibt, wie konnte dir die unerträgliche Gottlosigkeit in den Sinn kommen, den Sohn dem Vater ungleich zu nennen? O der Undank! Jene Ähnlichkeit, deren du teilhaft geworden, erkennst du deinem Wohltäter nicht zu! Und du glaubst von Rechts wegen zu besitzen, was dir aus Gnade verliehen worden, gibst aber nicht zu, daß der Sohn die Ähnlichkeit mit dem Vater von Natur hat?
Doch Schweigen gebietet uns nunmehr der Abend, der schon längst die Sonne zum Untergehen entlassen hat. So wollen wir denn hier unsere Rede beschließen - zufrieden mit dem Gesagten. Wir haben jetzt in unserem Vortrage so viel berührt, als hinreicht, euren Eifer zu wecken; die weitere Ausführung des vorliegenden Themas werden wir mit Hilfe des Geistes im folgenden bieten. So geht nun freudig hin, christgeliebte Gemeinde, und statt allerlei kostbarer Speisen und Gewürze gib deinem ehrbaren Tische die Erinnerung an das Gesagte zum Schmucke! Schämen aber soll sich der Anhomöer19, zu Schanden werde der Jude; es freue sich der Gottesfürchtige ob der Lehren der Wahrheit, und gepriesen sei der Herr, dem die Ehre und die Macht in alle Ewigkeit! Amen.
Ps 90,18 ↩
vgl. Lk 10,19 ↩
vgl. Apg 28,3-6 ↩
vgl. Mt 7,3 ↩
Ps 138,6 ↩
Gen 1,26 ↩
d.h. der Lehre von mehreren Personen in Gott. Vgl. dazu besonders die VI. Homilie, c. 2 ↩
Gen 1,3 ↩
vgl. Homilie III, c. 2 ↩
eben der Mensch ↩
Hebr 1,2-3 ↩
gemeint sind arianisch Gesinnte ↩
vgl. Hebr 1,3 ↩
Kol 1,15 ↩
Joh 10,30 ↩
Joh 14,9 ↩
τὸ ἀνόμοιον ↩
Gen 1,27 ↩
ὁ ἀνόμοιος = der die Gleichheit vom Vater und Sohn bestreitet (der Eunomianer) ↩
