6.
Auch Susanna,1 eine hervorragende Frau, bietet ein herrliches Beispiel von Keuschheit, die ein noch schönerer Schmuck war als ihre nicht durch Kunstmittel geschaffene körperliche Schönheit. Zwei von den Ältesten, aber eins in brennender verbrecherischer Leidenschaft, hatten eine unreine Neigung zu ihr gefaßt. Und als sie dieselbe, nur geschützt durch die Mauer der Keuschheit (die allerdings die wahre und ewige Schönheit ist), in der Einsamkeit eines Lustgartens erblickten, wo, wie sie sich erinnerten, dereinst Eva von dem Urheber ihres Tuns betrogen worden war, bauten sie gerade darauf ihren Plan und suchten sie mit List zu Fall zu bringen und drohten ihr den furchtbaren Tod der auf der Tat ertappten Ehebrecherin an, wenn sie nicht schuldig würde und sich füge. Aber Susanna war keine Eva; eine Überlegung, wie sie die schwankende Furcht kennt, ob man die Keuschheit oder das Leben opfern soll, war bei ihr ausgeschlossen; sie rief Gott, den einzigen Zeugen ihres reinen Gewissens, an und zog einen ehrenhaften Tod einem schändlichen Leben vor, in der Überzeugung, es sei besser, vor Menschen schuldig zu erscheinen als vor Gott. Inzwischen setzten ihr die Alten als Ankläger, zu denen sie aus Liebhabern geworden waren, hart zu, vergrößerten noch ihr Verbrechen, indem sie es auf die bedrängte Unschuldige wälzten, und sprachen damit von selbst zuerst über sich die Verurteilung. Aber — es ist unerhört! — man glaubt dem hohen Alter, man glaubt der angesehenen Stellung. Die Ehebrecher triumphieren; die Unschuld wird verurteilt. Schon ward Susanna schuldlos zum Tod geschleppt; schon schrie das ganze Volk nach ihrem Blute; schon hatten auch ihre eigenen Angehörigen unter dem furchtbaren Eindruck des plötzlich gekommenen Ereignisses in bitterem Schmerz das S. 100 Haupt sinken lassen und jeden Gedanken an Verteidigung aufgegeben. Schon haßte auch sie selbst, die für alle ein Gegenstand des Mißfallens war und nur vor ihrem eigenen Gewissen mit sich zufrieden sein konnte, jede Verzögerung des Todes, der ihrer Schmach ein Ende machen sollte. Da plötzlich erscheint Gott, der niemals durch Trug getäuscht wird, in der Person des Jünglings Daniel. Mit einem Schlag zerstört er das Spiel der Bosheit; rasch wird das eigentliche Verbrechen klargelegt; die Freveltat fällt auf ihre Urheber zurück; die Schmach fällt ab durch die Erklärung der Unschuld. So hat die Keuschheit siegreich Susanna, die man auf die Lügen der Unkeuschheit hin vor Gericht geschleppt hatte, gerechtfertigt und gerächt unter ungeheurem Jubel an die Seite ihres Gatten zurückgeführt,
Dan 13. ↩
