9. Kapitel (26—27). Besuchbei Bischof Rufinianus. Reisenach Rom. Einzug des Königs Theodorich.
Als nun der Winter jenes Jahres vorüber war, fühlte der selige Fulgentius das lebhafte Verlangen, den Bischof Rufinianus,1 der sich von der Zusammenkunft in Byzacium durch die Flucht über das Meer der grausamen Verfolgung entzogen hatte und nun auf einer kleinen Insel in der Nachbarschaft Siziliens lebte, unverzüglich aufzusuchen, um, durch seine Ermahnungen zum zweiten Mal bestärkt, zu erkennen, was er tun solle. Dies hatte er im Sinn, nicht, weil er dem Bischof Eulalius weniger Vertrauen geschenkt hätte, sondern weil er in Zweifelsfällen es für das Nützlichste hielt, stets die Ansicht vieler Ratgeber einzuholen. Nach langer, mühevoller Fußwanderung kam er an den Ort in Sizilien, welcher der Insel, auf der der heilige Rufinianus wohnte, am nächsten lag; auf einem kleinen Boot ließ er sich übersetzen und suchte sofort den verehrungswürdigen Bischof auf. Als nun dieser ihm gleichfalls von der Reise nach Ägypten abriet, beschloß er, unverzüglich in sein eigenes Kloster zurückzukehren, zuvor aber die Grabstätten der Apostelfürsten zu besuchen.Nachdem er also eine günstige Fahrgelegenheit gefunden hatte, gelangte er nach Rom; voll freudiger Eile betrat er die Stadt, die nach dem einstimmigen Zeugnis der weltlichen Schriftsteller stets gefeiert wird und mit Recht die Hauptstadt der Welt heißt. Damals herrschte in der Stadt laute Festesstimmung: der römische Senat und das Volk waren voll Freude über die Anwesenheit des Königs Theodorich.2 So kam es, daß der heilige Fulgentius, dem einst die Welt gekreuzigt war, nach der Verehrung der heiligen Stätten der Märtyrer und demü- S. 76 tiger Begrüßung aller Diener Gottes, die er in dieser kurzen Zeit kennen lernte, am Platz der sogenannten „Goldenen Palme„, 3 wo König Theodorich eine Ansprache hielt, den römischen Senat in seinem Glanz und den Adel im Schmuck seiner verschiedenen Klassen sah» Als er mit seinen reinen Ohren die schmeichlerischen Zurufe des freien Volkes vernahm, lernte er die Nichtigkeit des glanzvollen Pompes dieser Welt kennen. Aber er fand an dem Anblick dieses Schaugepränges keine Freude und ließ sich nicht verführen durch irdische Eitelkeiten, sondern er entbrannte vielmehr bei diesem Schauspiel von inniger Sehnsucht nach dem Glück des himmlischen Jerusalem; und mit heilsamen Worten sprach er zu den anwesenden Brüdern: "Wie herrlich muß das himmlische Jerusalem sein, wenn schon das irdische Rom in solchem Glanz erstrahlt! Und wenn in dieser Welt denen, die die Eitelkeit lieben, so große Ehren zuteil werden, welche Ehre und welcher Ruhm wird dann den Heiligen verliehen werden, die der Wahrheit dienen!“
Unter den Teilnehmern des im Jahre 484 unter Hunerich abgehaltenen Religionsgespräches wird Rufinianus Victorianensis an 88. Stelle genannt. ↩
Der Einzug Theodorichs in Rom fand im Jahre 500 statt. ↩
Die palma aurea befand sich wahrscheinlich im secretarium des alten Senatsgebäudes auf dem Forum Romanum. ↩
