6. Kapitel (17—19). Fulgentius und Felix geraten nach dem Verlassen ihres Klosters in die Gewalt des Arianers Felix; der Abt Felix wird ausgepeitscht.
Schließlich gedachten sie in der Gegend von Sicca1 ihren Wohnsitz aufzuschlagen, entzückt von der Fruchtbarkeit der Gegend und freundlich aufgenommen von den Gläubigen. Auf dem Gutsbezirk Gabardilla2 predigte ein Priester der arianischen Sekte, der bei den Menschen Felix hieß, dessen Gesinnung gegen Gott aber unglückselig war, den Irrglauben. Seiner Abstammung nach war er ein Barbar, von ungeschlachter Lebensart, einflußreich durch seinen großen Besitz, ein haßerfüllter Katholikenfeind. Er fühlte, daß der Name des Fulgentius in jenen Gegenden noch zu Berühmtheit gelangen werde, und ahnte, dieser werde heimlich viele wiedergewinnen, die er in Irrtum geführt hatte. Er glaubte nicht, daß Fulgentius, der ja des Priestertums S. 66 würdig war, noch einfacher Mönch sei, wie es sich tatsächlich verhielt, sondern daß sich unter dem Monchsgewand ein Priester verstecke. Und in der Tat übte er auch damals in lobenswerter Weise priesterliche Tätigkeit aus, indem er nicht nur einige für die wahre Lehre zurückgewann, sondern alle, die er erreichen konnte, mit heilsamen Ermahnungen zur Wiederversöhnung einlud. Da seine freundliche und aufrichtige Redeweise auch harte Herzen zu erweichen vermochte, fürchtete dieser Priester nicht ohne Grund für seine falsche Lehre.
Von unbändiger Wut erfaßt, beschloß daher der Priester, die Diener Gottes grausam zu verfolgen. Er stellte auf alle Straßen Aufpasser und ließ die Schritte der Ahnungslosen belauern. Es sollten nämlich diese starken Helden, die durch freiwillige Übungen der Enthaltsamkeit sich auf alle Leiden vorbereitet hatten, eine Zeitlang den Händen ihrer Feinde überliefert werden, um an dem Kampf der Märtyrer teilzunehmen und zugefügte Martern ertragen zu lernen. Sie sollten ihren Fortschritt im Guten beweisen, wenn all ihre Glieder von den Geißeln zerfleischt würden, ohne daß sie vom wahren Glauben abfielen. Ohne Ahnung von den Absichten der giftigen Schlange, im Bewußtsein ihres guten Gewissens gingen beide furchtlos in gegenseitiger Unterhaltung ihres Weges.
Plötzlich brach das Unheil wie die Gewalt eines wilden Sturmes über die Ahnungslosen herein; die Vereinten werden getrennt, gebunden und mit harten Fesseln beladen zum Priester geführt. Aus Unschuldigen sind sie plötzlich Angeklagte geworden, ohne vorherigen Kampf Gefangene. Die Mauren hatten ihnen auf ihrer Flucht kein Leid getan, nun fügen ihnen die Arianer Schmerzen zu. Da warf, bevor man sie festnahm, der Abt Felix einige Solidi,3 mit denen er den dürftigen Unterhalt der Brüder bestritt, in seiner Furcht S. 67 aufs Geratewohl weg und überließ sie anstatt dem Schutz der Diener Gottes dem Schutz Gottes selbst. Herrliches Wunder der göttlichen Macht! Keiner sah die weggeworfenen Goldstücke, keiner durfte den Armen den Unterhalt der Armen wegnehmen. Jene beiden allein, die auf diese Weise auf die Probe gestellt werden sollten, werden festgehalten, gefesselt und zum Priester geführt. Mit wütendem Geschrei fuhr sie der gewalttätige Priester an: „Warum seid ihr heimlich aus euren Gegenden gekommen, um die Christen, die doch Könige sind, zu verwirren?„ Gut stand es diesem Unseligen, die Christen Könige zu nennen, in deren Herzen er Christus Jesus, den König der Könige, in kläglicher Weise ausgelöscht4 hatte und die er, gleich dem Antichrist, gelehrt hatte, seine Wesensgleichheit mit dem Vater zu leugnen. Während jene sich noch bedachten, ihm in voller Wahrheit zu antworten, befahl er, sie zunächst mit Schlägen zu überhäufen.
Da rief Abt Felix, von inniger Liebe getrieben, den Schergen zu: „Verschont den Bruder Fulgentius, der Martern nicht ertragen kann! Schlagt ihn nicht, er könnte vielleicht unter euren Händen sterben! Eure Grausamkeit richte sich gegen mich; ich weiß, was ich zu bekennen habe; bei mir liegt alle Schuld.“ Voll Staunen über diese Liebe befahl der Priester, den seligen Fulgentius eine Weile zu entfernen, jenen aber ließ er durch die wilden Schergen noch grausamer züchtigen. Mit freudigem Herzen ertrug Abt Felix die Schläge. Gern litt er Schmerzen, da er sah, daß Fulgentius nun nichts zu leiden habe. Welch ein lieber Freund muß Fulgentius gegen seine Freunde gewesen sein, da er bis zum Tod geliebt zu werden verdiente! Diese liebevolle Gesinnung des seligen Felix bietet einen schwerwiegenden Beweis für die Heiligkeit seines Lebens. Denn er hätte nicht S. 68 sein Heil zurückgesetzt hinter das Wohlbefinden jenes, wenn er nicht gewußt hätte, daß es ihm zunächst und noch vielen anderen Nutzen und Freude bringen werde. Daß doch alle, die Gott zu gefallen trachten, diese beiden Männer nachahmen wollten! St. Fulgentius diene anderen zum Vorbild, so mit den Brüdern zu leben, daß sie geliebt und verehrt und in äußerster Bedrängnis selbst unter eigener Gefahr als der Unterstützung würdig erachtet werden! Mögen andere sich an der edlen Tat des Felix ein Beispiel nehmen, alle Gunst eines bereitwilligen Herzens den Brüdern zuzuwenden, die vollkommener sind und in der Gottesfurcht größere Fortschritte machen! Wenn nämlich unter Brüdern eine so große Liebe herrscht, wie sie die beiden heiligen Männer verband, dann wird die Gewalt jeder Versuchung leicht überwunden und die Bosheit der Feinde sogleich zunichte gemacht. Der grausame Priester aber, der durch die Mißhandlung des Abtes Felix seine Rache noch keineswegs gestillt hatte, beschloß, auch den heiligen Fulgentius nicht zu verschonen.
Sicca Veneria, auch Colonia Julia Veneria oder Cirta nova genannt, heute Le Kef, lag in der Proconsularis. Es gehörte zu den bedeutendsten afrikanischen Städten und war Sitz eines Bischofs, von denen uns u. a. Urbanus bekannt ist, der zuvor in dem von Augustinus geleiteten Kloster in Hippo regius Mönch gewesen war. Sicca war neben Lares der Sammelplatz, von dem aus unter Hunerich annähernd 5000 Katholiken zur Verbannung in die Wüste geführt wurden. ↩
In manchen Handschriften heißt der Ort Babardilla. ↩
Ein Solidus entspricht 1172 Pfund Gold (L. A. Schmidt, Geschichte der Vandalen, Leipzig 1901, S. 187). ↩
Der lateinische Ausdruck exsufflare enthält eine Anspielung auf die Wiedertaufe, die die Arianer bei den übertretenden Katholiken vornahmen. ↩
