4. Kapitel (11—12). Trotz der Bitten der aufgeregten Mutter bleibt Fulgentius im Kloster
Aus dem Mund vieler Boten vernimmt die Mutter die Nachricht, Fulgentius sei zu den Mönchen entflohen, er habe der Verwaltung und Leitung des ganzen Hauses völlig entsagt und sei unter keinen Umständen mehr von diesem Vorsatz abzubringen. Sie gerät außer sich, sie zittert, sie bestürmt in ihrer Liebe und Sehnsucht, als ob Fulgentius bereits gestorben sei — wenn auch eines guten Todes, wer so starb —, den Himmel mit leidenschaftlichen Klagen und kennt, wie Mütter es gewöhnlich beim Tod ihrer Söhne tun, kein Maß ihrer Tränen. In hastiger Eile stürzt sie, außer sich vor Erregung, zum Kloster und überhäuft rücksichtslos den heiligen Faustus mit Schmähungen und Vorwürfen. „Gib der Mutter ihren Sohn zurück, den Dienern ihren Herrn! Die Priester erweisen doch stets den Witwen viele Wohltaten; warum geht nun das Haus einer Witwe durch dich zugrunde?„ Geduldig gab ihr der Bischof zur Antwort: „Wenn du mir einen Sohn weggenommen hättest, müßte ich dich, Frau, nach dem Maß meines Schmerzes tadeln. Nun schmähst du mich mit Recht, weil ich dir den Sohn genommen habe. Da es dir nicht gefällt, daß er sich dem Dienste Christi weihen will, tust du gut daran, Faustus zu beschimpfen.11 Ihre Reden ertrug er gleichmütig und mit freundlichem Lächeln, aber die Erlaubnis, ihren Sohn wenigstens zu sehen, schlug er entschieden ab. Da jene wußte, wie sehr ihr Sohn sie liebe, schrie sie vor der Klosterpforte laut auf und beklagte, während sie häufig den Namen des Fulgentius ausrief, in mitleiderregender Weise ihre Vereinsamung.
Diese erste Versuchung stürmte mit großer Gewalt auf den heiligen Fulgentius ein, als er das Weinen seiner frommen Mutter vernahm, die er immer geliebt hatte, S. 61 und der er mit größter Verehrung ergeben war. Aber sein Herz war zu Gott erhoben, und so hörte er, ohne zu hören; er hielt es für unwürdig, auf ihre Bitten zu achten, weil er die gewohnte Liebe zur Mutter mit heiliger Herzenshärte überwand. Hier schon legte er vor vielen eine zuverlässige Probe seiner künftigen Geduld in vielen Leiden ab; und wie trunken vor göttlicher Gnade wußte er gleichsam nicht, ob es seine Mutter sei. Da sah der heilige Bischof Faustus zum erstenmal, daß er sich von ganzem Herzen bekehrt hatte, und voll Freude sprach er zu den übrigen Brüdern: „Leicht wird dieser junge Mann jede Last ertragen können, die wir ihm auferlegen, da er sich bereits über den Schmerz der Mutter hinwegsetzen kann.“ Als die Mutter einsah, daß ihr Sohn trotz ihrer noch heißeren Tränen nicht zu ihr herauskomme, glaubte sie, er sei nicht mehr an diesem Platz; sie glaubte nämlich nicht, daß er den Schmerz seiner Mutter ertragen könne, wenn er da wäre; denn sie kannte noch nicht die Kraft seiner Tugend. Oftmals also ging sie weg und kehrte wieder zurück und verursachte dem Bischof viele Belästigungen und ihrem Sohn zahlreiche Nachstellungen, bis sie es schließlich aufgab und nach Hause zurückkehrte.
