20. Kapitel (44—45). Fulgentius wird von König Thrasamund nach Karthago berufen.
Inzwischen blieb die Gesinnung des Königs Thrasamund gegenüber der katholischen Religion unversöhnlich und seine Erbitterung unvermindert. Durch harte Verfolgungen oder heuchlerische Machenschaften suchte er die Katholiken bald mit Gewalt zu zwingen, bald mit Versprechungen einzunehmen, die Wesensgleichheit Christi mit Gott Vater zu leugnen. In der Absicht, eine noch größere Menge zu täuschen, begann er den Anschein zu erwecken, als forsche er aufrichtig nach der Begründung der katholischen Religion; er war nämlich überzeugt, daß sich niemand finden lasse, durch dessen Darlegungen er seines Irrtums überführt werden könne. Vielen Leuten legte er die Fallstricke seiner törichten Fragen; und wenn eine Antwort darauf gegeben wurde, mißachtete er sie weder noch wies er sie zurück, sondern hörte anscheinend geduldig zu und rühmte sich am Ende, es könne ihm keine befriedigende Auskunft erteilt werden. Und in Wahrheit, wer hatte es vermocht, seinem verstockten Herzen das Licht der Wahrheit zu zeigen? Sein Verhalten hatte jedoch die Wirkung, daß sehr viele durch die von Gott herbeigeführten Gelegenheiten, die Irrtümer des wissenschaftlich interessierten Königs zu widerlegen, ihrem Glauben mit noch größerer Standhaftigkeit anhingen. Auf seine wiederholten Fragen, wer am besten mit evidenten Beweisen die Wahrheit des katholischen Dogmas verteidigen könne, wird ihm schließlich geantwortet, unter den verbannten Bischöfen sei der heilige Fulgentius, ein Mann von vollendetem Wissen und gnadenvollem Tugendwandel, imstande, mit seiner Weisheit und Beredsamkeit die Fragen des Königs zufriedenzustellen.
Der König war sofort begierig, den Bischof auf die Probe zu stellen, dem die gesamte Kirche ein so ehren- S. 95 volles Zeugnis ausstellte. Sofort sandte er einen zuverlässigen Diener zu Fulgentius; dieser wurde unverzüglich nach Karthago gebracht, das er voll freudiger Hoffnung betrat. Dort fand er Gelegenheit, wie ein treuer Verwalter die ihm anvertrauten Talente zu verausgaben. Darum begann er in seiner Herberge die rechtgläubigen Katholiken, die zu ihm kamen, sorgfältig zu unterweisen, indem er ihnen die Gründe zeigte, weshalb der Vater und der Sohn und der Heilige Geist trotz der Verschiedenheit der drei Personen als ein Gott von den Gläubigen verehrt werden.
So groß war der Zauber seiner hinreißenden Rede, und solche Freundlichkeit strahlte aus seinen Mienen, daß alle Gläubigen von heiligem Eifer erfüllt wurden, Fragen an den gelehrten Mann zu richten oder ihm zuzuhören, so oft er Fragen beantwortete. Jener teilte das Wort Gottes ohne Neid und Scheelsucht mit; auf alle Fragen gab er Antwort, ohne jemand zu mißachten oder ihn als gottlos zu betrachten; und er selbst war bereit, wenn Gott durch den Heiligen Geist einem anderen eine Wahrheit besser geoffenbart hatte, diesem zuzuhören und von ihm zu lernen, seine Meinung anzunehmen, sie zu befolgen und anzuerkennen. Als Lehrer bewies er in seiner Milde und Güte die demütige Gesinnung eines Schülers. So kam es, daß er in seinem Streben, größeren Gewinn für Christus zu erzielen, noch viel gelehrter und vollkommener wurde. Denen, die sich hatten wiedertaufen lassen, zeigte er den Weg, ihren Irrtum zu bereuen, und söhnte sie aus mit der Kirche; die anderen warnte er, ihre Seelen nicht um irdischer Vorteile willen zu verlieren. Solchen, die er nahe am Abgrund des Verderbens wußte, redete er mit sanften Worten zu, so daß sie mit Rücksicht auf sein gütiges Wesen sich scheuten, die geplante Sünde zu begehen, und schnell umkehrten und Buße taten. Wieder andere, die durch seine Worte gestärkt waren und das Salz seiner Gelehrsamkeit verkostet hatten, machten sich mit aller Zuversicht an S. 96 die Widerlegung der arianischen Häresie. So war es die wunderbare Wirkung der Gnade, daß durch einen einzigen Priester, dessen Weisheit der König auf die Probe stellen wollte, die Zahl der Weisen in Karthago sich mehrte und durch Vermittlung des Verfolgers selbst der katholische Glaube eher Zuwachs erhielt als Schaden erlitt.
