Sechster Artikel. Anderen wohlthun ist Ursache des Ergötzens.
a) Dagegen spricht: I. Die Erreichung des eigenen Guten ergötzt. Wohlthun aber besagt vielmehr eine Enteignung. II. Aristoteles schreibt (4 Ethic. 1.): „Geiz ist der Natur des Menschen mehr entsprechend wie Verschwendung.“ Wohlthun aber gehört vielmehr in den Bereich der Verschwendung. Da also ergötzlich für den Menschen jene Thätigkeit ist, welche der Natur in ihm mehr entspricht, so ist Wohlthun nicht Ursache des Ergötzens. III. Manche Dinge, welche ein Übel für den Nächsten in sich einschließen, sind naturgemäß für den Menschen ergötzlich; wie z. B. siegen, andere tadeln, strafen etc. wie Aristoteles hervorhebt. (1. Rhet. 11.) Also dem Nächsten Gutes erweisen ist vielmehr ein Grund der Trauer wie der Freude. Auf der anderen Seite schreibt Aristoteles (2. Polit. 3.): „Schenken, Helfen sowohl Freunden als Fremden gegenüber ist im höchsten Grade ergötzlich.“
b) Ich antworte, in dreifacher Weise kann Wohlthun ergötzen: 1. mit Rücksicht auf die Wirkung, insoweit wir auf Grund der Liebe das im anderen befindliche Gut wie unser eigenes ansehen; — 2. mit Rücksicht auf den Zweck, weil wir vermittelst des Wohlthuns ein Gut für uns selber zu erreichen hoffen, sei es von Gott sei es von einem Menschen; Hoffen aber ist Ursache des Ergötzens; — 3. mit Rücksicht auf das Princip und zwar entweder, weil dadurch selber wir die Vorstellung in uns erwecken, daß wir das Vermögen haben, Gutes zu thun, daß also unser eigenes Gut ein überfließendes ist, wonach die Menschen Freude haben an ihren Kindern, denen sie ihr Vermögen mitteilen; oder weil der Mensch in sich die Gewohnheit oder die Tugend hat wohlzuthun, wonach letzteres ergötzlich wird und wonach deshalb die Freigebigen mit Freuden geben; oder weil wir von einem, den wir lieben, dazu bestimmt werden, jemandem Gutes zu thun; denn was wir thun oder leiden wegen eines Freundes, das thun oder leiden wir mit Freuden, da die Liebe die vorzüglichste Quelle des Ergötzens ist.
c) I. Die Enteignung ist Gegenstand des Ergötzens, wenn sie den Überfluß des eigenen Gutes anzeigt. II. „Verschwendung“ bezeichnet ein unmäßiges Ausgeben; und das ist gegen die Natur. III. Die genannten Dinge sind ergötzlich, insofern sie die eigenen Vorzüge offenbar machen, welche der Mensch immer in höherem Grade liebt als er haßt das Übel im anderen. „Siegen“ nämlich ist naturgemäß ergötzend, denn dadurch wird die Wertschätzung des eigenen hervorragenden Guten vermittelt; und deshalb sind alle Spiele im höchsten Grade ergötzlich, wo ein Wettstreit und deshalb ein Sieg ist. „Tadeln“ oder „Vorwürfe machen“ kann in zweifacher Weise etwas Ergötzliches sein: einmal weil es im Menschen die Vorstellung der eigenen Macht und Weisheit lebendig macht; dann weil man dadurch dem anderen Gutes erweist. So ist es dem Zornigen ein Ergötzen, zu strafen, weil er dadurch die anscheinende Verminderung des eigenen Ansehens entfernt, die stattgefunden hat infolge der vorhergehenden Verletzung, wegen deren er zürnt. Denn wer verletzt ward, der ist in irgend einer Weise minder geworden; und von diesem Übel meint der Zornige sich durch die Bestrafung zu befreien. So ist also Wohlthun an sich etwas Ergötzliches; Übelthun dem Nächsten ist aber nicht ergötzend, außer insoweit dies der Förderung des eigenen Guten entspricht.
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