Zweiter Artikel. Die Hoffnung ist im begehrenden Vermögen.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Die Hoffnung ist eine gewisse Erwartung, wie der Apostel sagt (Röm. 8.): „Wenn wir aber hoffen, was wir nicht schauen; so warten wir mit Geduld.“ Das Erwarten scheint jedoch zur auffassenden Kraft zu gehören. II. Hoffnung scheint dasselbe zu sein wie Zuversicht. Die Zuversicht aber so wie der Glaube gehören zum auffassenden, zum Erkenntnisvermögen. III. Die Gewißheit ist eine Eigenheit des Erkennens. Sie wird aber der Hoffnung zugeschrieben. Also hat die Hoffnung nicht ihren Sitz im begehrenden Vermögen. Auf der anderen Seite richtet sich die Hoffnung auf das Gute. Das Gute aber ist Gegenstand des Begehrens.
b) Ich antworte; da die Hoffnung eine gewisse Ausdehnung des Begehrens zum Guten hin einschließt, so ist sie offenbar in dem begehrenden Vermögen. Denn die Bewegung zu den äußeren Dingen hin gehört im eigentlichen Sinne dem Begehren an, während die auffassenden Vermögenvielmehr in der Weise thätig sind, daß die Dinge innerhalb des Auffassenden oder Erkennenden sich finden. Weil aber die Erkenntniskraft das begehrende Vermögen in der Weise bethätigt, daß sie ihm seinen Gegenstand vorstellt, so folgen gemäß den verschiedenen Art und Weisen daß die Dinge aufgefaßt werden, verschiedene Thätigkeiten oder Bewegungen in dem begehrenden Vermögen. Denn eine andere Bewegung entsteht infolge der Auffassung des Guten und eine andere infolge der Auffassung des Bösen; eine andere gemäß der Auffassung des Möglichen, eine andere gemäß der Auffassung des Unmöglichen; und so verhält es sich mit der Auffassung des Schwierigen und Leichten, des Zukünftigen und Gegenwärtigen. Danach nun ist die Hoffnung eine Bewegung des Begehrvermögens, die der Auffassung des mit Schwierigkeiten verknüpften, jedoch möglichen zukünftigen Guten folgt.
c) I. Weil in zweifacher Weise etwas für uns möglich ist entweder für unsere eigene Kraft oder gemäß der Kraft eines anderen, so ersteht in uns eine doppelte Bewegung der Hoffnung. Was also jemand aus eigener Kraft erhofft, darauf wartet er nicht; das hofft er eben nur. Erwarten wird recht eigentlich dann gesagt, wenn man etwas mit der Hilfe eines anderen zu erreichen hofft; so daß „erwarten“ sagen will „auf etwas von einem anderen her warten.“ Hier also richtet sich die auffassende Kraft nicht nur auf das erreichbare Gute, sondern auch auf jenes Wesen, durch dessen Kraft es die Erreichung erhofft; wie es Ekkli. 51. heißt: „Ich blickte auf die Hilfe der Menschen.“ Und so heißt Hoffnung manchmal Erwartung auf Grund dessen, daß man sich nach der vorhergehenden auffassenden Kraft richtet. II. Was der Mensch verlangt und meint, er könne es erreichen, das glaubt er, daß er es erreichen werde; und aus solchem Glauben, der vorhergeht in der Erkenntniskraft, entsteht in dem Begehren das, was man „Zuversicht“ nennt. Denn die begehrende Bewegung wird von der vorhergehenden Kenntnis aus benannt wie man die Wirkung benennt nach der mehr bekannten Ursache; die Auffassungskraft nämlich erkennt mehr ihren eigenen Akt wie den im Begehrvermögen. III. „Gewißheit“ wird sogar der rein natürlichen Bewegung zugeschrieben; nicht allein der Bewegung des Begehrvermögens. So sagt man, „mit Gewißheit“ gehe der Stein nach unten. Und das kommt von der Zuverlässigkeit der Kenntnis, die, wie auch immer, vorhergeht.
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