Erster Artikel. Der Wille wird in Thätigkeit gesetzt von der Leidenschaft des sinnlichen Begehrens aus.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Kein Vermögen wird bestimmt außer von seinem eigenen Gegenstande aus. Der Wille aber hat zum Gegenstande nicht die Leidenschaft im sinnlichen Teile; sondern das vernunftgemäße Gute. II. Der Wille steht höher wie das sinnliche Begehren. Wie also die vernünftige Seele den Körper bewegt, so etwa setzt der Wille vielmehr in Thätigkeit den niederen sinnlichen Teil und nicht umgekehrt; nach 3. de anima. III. Der Wille ist ein stoffloses Vermögen; das sinnliche Begehren an stoffliche Organe gebunden. Kein stoffloses Vermögen aber wird zur Thätigkeit bestimmt durch ein an den Stoff gebundenes. Also geht vom sinnlichen Begehren nicht die Bestimmung aus für den vernünftigen Willen. Auf der anderen Seite steht bei Daniel 13. geschrieben: „Die (sinnliche) Begierde hat dein Herz verkehrt.“
b) Ich antworte, die Leidenschaft des sinnlichen Begehrens könne zwar nicht unmittelbar den Willen nach sich ziehen oder zur Thätigkeit bestimmen, wohl aber mittelbar und zwar in zweifacher Weise: 1. vermittelst der einen Seele, in deren Wesen alle Vermögen des Menschen wurzeln, so daß, wenn ein Vermögen mehr als gewöhnlich in seiner Thätigkeit angestrengt wird, ein anderes nachläßt in der seinigen oder ganz in seiner Thätigkeit aufhört. Denn wird eine Kraft nach mehreren Seiten hin verstreut, so wird sie geringer; bleibt sie auf einem Punkte geeint, äußert sie sich stärker. Und zudem wird in den Werken der Seele eine gewisse Absicht erfordert, die, wenn sie stark auf einen Punkt hin gerichtet wird, nicht mit ebenderselben Stärke auf einen anderen Punkt hin sich richten kann. Wird also zu stark die Leidenschaft des sinnlichen Begehrens angespannt, so läßt nach oder hört auf die Thätigkeit des vernünftigen Begehrens, des Willens. 2. Vermittelst des Gegenstandes des Willens; der da ist das von der Vernunft aufgefaßte Gut. Denn es wird das Urteil der Vernunft gehindert durch die zu angestrengte und ungeregelte Auffassung der Ein-bildungs- und Schätzungskraft, wie dies bei den Wahnsinnigen der Fall ist. Offenbar wird aber beeinflußt die Auffassung des sinnlichen Teiles durch das Begehren der Leidenschaft, wie das Urteil des Geschmackes durch die Beschaffenheit der Zunge. Daher sehen wir, wie leidenschaftliche Menschen nicht leicht ihre Einbildung abwenden von dem Gegenstande der Leidenschaft; und so folgt das Urteil der Vernunft oft der Leidenschaft des sinnlichen Begehrens und so auch der Wille, der von Natur sich nach dem Urteile der Vernunft richtet.
c) I. Die Leidenschaft des sinnlichen Teiles beeinflußt die Vorlegung des Gegenstandes des Willens vermittelst des Vernunfturteils; — obgleich die Leidenschaft selber nicht Gegenstand des Willens ist. II. Mittelbar gewinnt die niedere Kraft Einfluß auf die höhere; nicht unmittelbar. III. Ebenso.
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