Dritter Artikel. Die „Sünde aus Leidenschaft“ wird mit Recht „Sünde aus Schwache“ genannt.
a) Hier kann von keiner Schwäche die Rede sein. Denn: I. Die Leidenschaft ist eine heftige Bewegung des sinnlichen Begehrens. Dies aber zeigt mehr eine gewisse Stärke an wie Schwäche. II. Die Schwäche des Menschen richtet sich nach dem Gebrechlichen in ihm. Da aber sagt der Ps. 77.: „Er hat sich erinnert, daß sie Fleisch sind.“ Also „Sünde aus Schwäche“ muß genannt werden, was aus irgend einem Fehler des Körpers hervorgeht; und nicht was der Leidenschaft entspringt. III. Darin ist der Mensch nicht schwach, was in seiner Gewalt steht. Die Leidenschaft aber steht in der Gewalt des Menschen nach Gen. 4.: „Unter dir wird dein Begehren sein und du wirst es beherrschen.“ Auf der anderen Seite sagt Cicero (4 Tuscul.): „Die Leidenschaften der Seele sind Krankheiten;“ also Schwächen.
b) Ich antworte, die Ursache der Sünde sei an erster Stelle auf seiten der Seele. Es kann jedoch von „Schwäche der Seele“ gesprochen werden gemäß dem daß man von Körperschwäche spricht. Dann nämlich ist der Körper des Menschen schwach, wenn er gehindert wird in der Vollendung seiner Thätigkeit auf Grund einer Unordnung in den Teilen des Körpers, so zwar daß die Säfte und Glieder des Menschen nicht Unterthan sind der leitenden und bewegenden Kraft im Körper; wie auch das Auge krank genannt wird, wenn es nicht klar sehen kann, und so ähnlich bei den anderen Gliedern. Also wird die Seele schwach genannt, wann sie gehindert wird in der ihr eigenen Thätigkeit infolge der Unordnung in ihren Vermögen. Was nun bei den körperlichen Organen die Richtschnur der Natur ist, das ist bei der Seele die Richtschnur der Vernunft. Wenn also außerhalb der Ordnung der Vernunft die Begehr- oder Abwehrkraft von einer Leidenschaft betroffen wird und damit ein Hindernis ersteht für die gebührende Leistung des menschlichen Thätigseins, so ist dies eine Sünde aus Schwäche. Daher vergleicht Aristoteles den Unkeuschen einem Fallsüchtigen, dessen Glieder dahin sich bewegen, wohin er nicht will.
c) I. Je stärker im Körper die Bewegung ist gegen die Richtschnur der Natur, desto größer ist die Schwäche. Und so verhält es sich mit der Leidenschaft in der Seele mit Rücksicht auf die Vernunft. II. Die Sünde besteht in erster Linie im Willensakte, der durch keine körperliche Krankheit in seiner Freiheit gehindert wird; sie wird aber gehindert durch die Leidenschaft. Also ist die Schwäche der Seele vielmehr auf die Leidenschaft als ihren Quell zurückzuführen wie auf körperliche Gebrechlichkeit. Die Schwäche der Seele aber selber wird Fleischesschwäche genannt, insoweit infolge der Beschaffenheit des Fleisches die Leidenschaften in uns erstehen; denn das sinnliche Begehren ist gebunden in seiner wesentlichen Thätigkeit an stoffliche Organe. III. Es ist allerdings in unserer Gewalt, der Leidenschaft beizustimmen oder nicht; und darauf bezieht sich Gen. 4, 7. Jedoch in der Leidenschaft ist ein Hindernis für dieses Zustimmen oder Nichtzustimmen gegeben, je, nachdem der Wille entscheidet.
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