Erster Artikel. Die Häresie ist eine Gattung des Unglaubens.
a) Das scheint nicht.Denn: I. Der Unglaube ist in der Vernunft. Die Häresie aber ist mehr im begehrenden Teile. Denn so sagt Hieronymus (super Gal. 5. maniffesta sunt): „Häresie wird griechisch so genannt von der freien Auswahl, insoweit nämlich jeder sich eine Lehre auswählt, die er für die beste hält.“ Wählen aber geht den begehrenden Teil an. II. Das Laster hat seine Gattung zumal vom Zwecke. „Der da Ehebruch treibt, um zu stehlen, ist mehr Dieb wie Ehebrecher,“ heißt es 5 Ethic. 2. Der Zweck der Häresie aber ist ein zeitlicher Vorteil und zumal eitle Ehre und Herrschsucht, was zum Laster des Hochmuts gehört. Denn Augustin sagt (de utilit. credendi 1.): „Häretiker ist, wer zeitlichen Vorteils halber und zumal aus Herrschsucht und eitler Ruhmgier, falsche und neue Meinungen erzeugt oder ihnen folgt.“ Also ist die Häresie eine Gattung des Hochmuts. III. Der Unglaube, der ja in der Vernunft seinen Sitz hat, hat mit dem Fleische nichts zu thun. Die Häresie aber wird von Paulus (Gal. 5.) unter den Werken des Fleisches aufgezählt: „Offenbar sind die Werke des Fleisches, die da sind Unkeuschheit, Wollust… Streitigkeiten, Häresien.“ Auf der anderen Seite steht das Falsche entgegen der Wahrheit. Häretiker aber ist jener, welcher falsche oder neue Meinungen erzeugt oder ihnen folgt. Also ist die Häresie entgegengesetzt der Wahrheit, auf welche der Glaube sich stützt; und somit ist sie eine Gattung des Unglaubens.
b) Ich antworte, der Ausdruck „Häresie“ besage freie Auswahl. Eine solche aber richtet sich auf das Zweckdienliche und setzt den Zweck voraus. Im Bereiche des zu Glaubenden nun stimmt der Wille einer Wahrheit zu als dem eigens entsprechenden Guten. Was also im Wahren die erstleitende Stelle einnimmt, das hat den Charakter des letzten Endzweckes; und was an zweiter Stelle dasteht, das hat den Charakter des Zweckdienlichen. Weil nun wer da glaubt der Aussage irgend jemandens zustimmt, so scheint im Bereiche jeglicher Gläubigkeit an erstleitender Stelle und wie Zweck dazustehen jener, dessen Aussage man zustimmt; und an zweiter Stelle kommt das, was der betreffende zustimmend festhalten will. So stimmt also im christlichen Glauben, wer den rechten hat, kraft seines Willens Christo zu in allem dem, was wahrhaft zu dessen Lehre gehört. Von dieser geraden Linie im Glauben kann nun jemand in doppelter Weise abweichen: 1. weil er Christo nicht zustimmen will; und dieser hat schlechten Willen mit Rücksicht auf den Zweck selber; das ist der Unglaube der Juden und Heiden; — 2. weil er wohl Christo zustimmen will, jedoch in dem Mangel erleidet, worin er Christo zustimmt; insofern er nicht auswählt das was wahrhaft von Christo gelehrt worden, sondern was der eigene Geist ihm eingiebt. Deshalb ist die Häresie eine Gattung des Unglaubens, der jenen innewohnt, die wohl den Glauben Christi bekennen, aber dessen Lehren verderben.
c) I. Die Auswahl gehört ebenso zur Häresie wie der Wille zum Glauben; (s. oben.) II. Vom nächsten Zwecke haben die Laster ihre Gattung; vom entfernteren ihre „Art“ und ihre Ursache. Wer Ehebruch treibt, um zu stehlen, dessen Sünde gehört gemäß dem nächsten Zwecke der Gattung des Ehebruches an; der entferntere Zweck aber zeigt, wie der Ehebruch vom Diebstahle ausgegangen ist und unter demselben wie die Wirkung in der Ursache enthalten ist oder wie Gattung in der „Art“. Der nächste Zweck nun der Häresie ist, einer falschen Lehre anhängen; und von da her kommt ihre Gattung; — der entferntere Zweck zeigt die Ursache an, daß sie nämlich aus Stolz oder Herrschsucht herkommt. III. Ebenso ist die Sekte oder die Häresie ein Werk des Fleisches wenn der entferntere Zweck in Betracht kommt als Grund der Häresie; — oder etwa eine Unordnung oder Täuschung in der Einbildungskraft, die oft zu falschen Meinungen Anlaß giebt. (4 Metaph.) Die Einbildungskraft nämlich gehört mit zum Fleische, denn sie bedient sich in ihrer wesentlichen Thätigkeit eines körperlichen Organs.
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