Erster Artikel. Es giebt zwei Gattungen Gerechtigkeit: die Tausch- und die verteilende Gerechtigkeit.
a) Solche zwei Gattungen lassen sich nicht unterscheiden. Denn: I. Keine Gattung Gerechtigkeit kann dem Gemeinwesen schaden, da die Gerechtigkeit dem Gemeinwesen von Natur aus dient. Das allen gemeinsame Gut aber in viele verteilen, gereicht dem gemeinsamen Besten aller zum Schaden; sowohl weil die gemeinnützigen Güter erschöpft als auch weil die Sitten der Menschen verdorben werden. Denn Cicero sagt (2. de off.): „Schlechter wird, der da annimmt, und um wieder etwas zu empfangen bereitwilliger.“ Verteilen also gehört nicht zu einer Gattung Gerechtigkeit. II. Die Thätigkeit der Gerechtigkeit besteht darin, jedem das Seine zu geben. Im Verteilen aber wird jemandem nicht gegeben was sein ist; vielmehr wird ihm zu eigen gegeben, was früher nicht sein war, sondern dem Gemeinwesen gehörte. III. Die Gerechtigkeit ist nicht im Fürsten allein, sondern auch in den Unterthanen. Verteilen aber gehört immer dem Fürsten an. IV. „Das was gerechterweise verteilt werden kann, betrifft die gemeinsamen Güter.“ (3 Ethic. 2.) Das was gemeinsam ist aber gehört der „gesetzlichen“ Gerechtigkeit an, nicht der besonderen, privaten. V. Das Eine und Viele machen keinen Wesensunterschied in der Tugendgattung. Die Tauschgerechtigkeit aber besteht darin, daß einem einzigen gegeben wird; die verteilende, daß vielen gegeben wird. Also ist da kein Unterschied in der Gattung. Auf der anderen Seite nennt Aristoteles die eine Gattung der Gerechtigkeit: „die im Verteilen leitende“, die andere: „die Richtschnur im Tauschen“. (5 Ethic. 2.)
b) Ich antworte, die besondere oder Privatgerechtigkeit beziehe sich auf eine Privatperson, die da Teil oder Glied eines Gemeinwesens ist. Nun besteht da ein doppeltes Verhältnis: 1. das zwischen dem einen Teile und dem anderen, also zwischen einer Privatperson zur anderen; und dieses Verhältnis wird geregelt durch die Tauschgerechtigkeit; — 2. das zwischen dem Ganzen und den Teilen, also zwischen dem Gemeinsamen und den einzelnen Personen; und dieses Verhältnis wird geregelt durch die verteilende Gerechtigkeit, die das Gemeinsame verteilt nach einem gewissen Verhältnisse. Also sind zwei Gattungen Gerechtigkeit.
c) I. Wie in Privatgaben Maßhalten empfohlen, Verschwendung getadelt wird; so ist dies auch bei Zuteilung von Gütern des Gemeinwesens der Fall. II. Der Teil und das Ganze haben ein und dasselbe Interesse. So weit also an öffentlichen Gütern einzelnen verteilt wird, bekommt jeder das Seine. III. Das thatsächliche Verteilen gehört allerdings dem Fürsten zu. Die Unterthanen aber haben die Tugend der verteilenden Gerechtigkeit, in soweit sie mit dem recht Zugeteilten zufrieden sind. IV. Die Thätigkeit oder Bewegung erhält ihren Wesenscharakter vom Abschlußpunkte, auf den sie gerichtet ist. Zur „gesetzlichen“ Gerechtigkeit gehört es also, das Beste der einzelnen zum Gemeinbesten hinzuleiten; und der „besonderen“ oder Privatgerechtigkeit ist es eigen, das gemeinsame Gute an einzelne Personen gebührendermaßen zu verteilen. V. Der verschiedene Wesenscharakter dessen, was geschuldet wird, unter scheidet diese beiden Gattungen Gerechtigkeit; nicht das Eine und Viele. Denn anders wird dem einzelnen der Anteil am Gemeinsamen geschuldet und anders das was dem einzelnen als einem solchen eigen ist.
