Erster Artikel. Die Geduld ist eine Tugend.
a) Dem widerspricht: I. „Die Tugenden sind in vollkommenster Weise im ewigen Heim;“ sagt Augustin. (14. de Trin. 9.) In der Ewigkeit aber ist keine Geduld; denn es bestehen da keine Übel, die ertragen werden müssen: „Sie werden nicht hungern und nicht dürsten und nicht wird sie belästigen die Glut der Sonne.“ (Isai. 49.; Apok. 7.) II. „Die Tugend macht gut den, der sie hat.“ Die Geduld aber findet sich manchmal in den bösen; wie die geizigen z. B. viele Übel ertragen, um Geld zusammenzuscharren, nach Ekkle. 5.: „Alle Tage seines Lebens ißt er im Dunkeln und in vieler Sorge und in Kummer und Trauer.“ Also ist die Geduld keine Tugend. III. Die Früchte sind unterschieden von den Tugenden. (I., Kap. 70, Art. 1 ad III.) Die Geduld aber wird unter den Früchten aufgezählt bei Gal. 5. Auf der anderen Seite sagt Augustin (de pat.): „Die Tugend der Seele, welche Geduld heißt, ist eine so große Gabe Gottes, daß die Geduld dessen, der sie uns gegeben, gepriesen wird.“
b) Ich antworte, die moralischen Tugenden dienen dem Guten, insofern sie das der Vernunft entsprechende Gute wahren gegen den Ansturm der Leidenschaften. Unter allen anderen Leidenschaften aber ist die Trauer am wirksamsten, um das der Vernunft entsprechende Gute zu hindern; sagt doch der Apostel (2. Kor. 7.): „Die weltliche Trauer wirkt den Tod,“ und Ekkli. 30. heißt es: „Viele hat die Trauer getötet und kein Nutzen ist in ihr.“ Die Geduld nun hindert, daß die Seele nicht der Trauer unterliege; und deshalb ist sie eine Tugend und zwar eine höchst notwendige. Darum sagt Augustin (pat. 2.): „Die Geduld des Menschen ist es, womit man die Übel der Welt mit Gleichmut erträgt;“ d. h. ohne Trauer, „damit wir nicht mit boshaftem Geiste das Gute beiseite lassen, wodurch wir zu Besserem gelangen.“
c) I. Die moralischen Tugenden haben im ewigen Heim nicht die nämliche Thätigkeit wie hier; aber sie bleiben dieselben mit Rücksicht auf den Zweck. So wird da die Gerechtigkeit nicht mehr den Kauf und Verkauf regeln, sondern Gott Unterthan sein. Und die Geduld wird keine Übel ertragen, sondern aller Güter genießen, die wir kraft der Geduld erreichen wollen. Deshalb sagt Augustin (14. de civ. Dei 9.): „Im ewigen Heim wird nicht die Geduld selber verbleiben, wo keine Übel mehr zu ertragen sind; ewig aber wird bleiben, was wir durch die Geduld erreicht haben.“ II. „Geduldig werden im eigentlichen Sinne jene genannt, welche vorziehen, Übel nicht zu thun, indem sie dieselben ertragen; als Übles zu thun und nicht es ertragen. In jenen aber, die Übel erdulden, damit sie Übles thun, ist die Geduld weder zu bewundern noch zu loben; denn es ist da keine Geduld. Hartherzigkeit ist da, nicht Geduld.“ (Aug. de pat. 2.) III. Die Frucht ergötzt. Die Thätigkeiten der Tugenden aber verbreiten immer Ergötzen. Die Geduld also ist eine Tugend, als Zustand betrachtet; insoweit ihre Thätigkeit Freude verbreitet, ist sie eine Frucht, zumal die Geduld den Geist gegen die Trauer festigt.
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