Dritter Artikel. Die Wollust, welche geschlechtliche Handlungen zum Gegenstande hat, kann Sünde sein.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Der Same ist jener Überfluß, welcher aus der Nahrung sich ergiebt. Andere Überflüssigkeiten aber zu entfernen, ist keine Sünde. Also ist auch die Entfernung des Samens, welche durch die geschlechtlichen Thätigkeiten geschieht, keine Sünde. II. Jeglicher kann das gebrauchen, was ihm gehört. In der geschlechtlichen Handlung aber gebraucht jemand nur das, was ihm gehört; außer etwa im Ehebrüche oder in der Entführung. Also ist da keine Sünde. III. Jede Sünde hat zu ihrem Gegensatze eine andere Sünde. Keine Sünde aber steht im Gegensatze zur Wollust. Auf der anderen Seite ist die Ursache mächtiger wie ihre Wirkung. Der Wein aber wird verboten auf Grund der Wollust, nach Ephes. 5.: „Betrinket euch nicht am Weine, worin die Wollust sich findet;“ und Gal. 5. wird die Wollust unter den Werken des Fleisches aufgezählt.
b) Ich antworte, je notwendiger etwas ist, desto mehr müsse mit Rücksicht darauf die Ordnung gewahrt werden, wie solche von der Vernunft festgestellt wird; und ist somit darin eine um so größere Sünde, wenn die Ordnung der Vernunft beiseite gelassen wird. Der Gebrauch des Geschlechtlichen aber ist höchst notwendig sür das Gemeinbeste, das da besteht in der Bewahrung und Fortpflanzung des Menschengeschlechts. Also muß da um so mehr die Ordnung der Vernunft gewahrt werden und ist Alles, was gegen diese Ordnung oder abgesehen von derselben geschieht, eine um so größere Sünde. Das ist aber der Wesenscharakter in der Wollust, daß sie mit Rücksicht auf das Geschlechtliche über die von der Vernunft kommende Ordnung und Richtschnur hinausgeht. Also ist sie ohne Zweifel Sünde.
c) I. „Der Samen ist ein Überfluß der Nahrung, dessen man bedarf,“ heißt es bei Aristoteles, (l. de gener. 15.) Denn Überfluß ist er, insoweit er von der Thätigkeit der Nährkraft übrig bleibt; man bedarf aber seiner für die Thätigkeit der Fortpflanzungskraft. Des anderen Überflüssigen im menschlichen Körper aber bedarf der Mensch weder als Einzelwesen noch mit Rücksicht auf die Gattung; und so kommt es nicht, vorausgesetzt den für den menschlichen Verkehr notwendigen Anstand, darauf an, in welcher Weise man dessen verlustig geht. Der Same aber darf nur so aus dem Körper entfernt werden, wie es dem Zwecke entspricht. II. „Ihr seid erkauft um teueren Preis;“ heißt es 1. Kor. 6. gegen die Wollust; „verherrlicht also und traget Gott in euerem Körper.“ Wer demnach seinen Körper durch die Wollust mißbraucht, thut Gott ein Unrecht an, welcher der hauptsächliche Herr unseres Körpers ist. Danach sagt Augustin (de 10. cordis 10.): „Gott, der seine Knechte nicht zu seinem, sondern zu ihrem Nutzen leitet und lenkt, hat das befohlen und vorgeschrieben; damit nicht durch Lockungen und unerlaubte Vergnügungen sein Tempel zusammenstürze, der du zu sein angefangen hast.“ III. Der Gegensatz zur Wollust im Bereiche der Sünde kommt nicht häufig vor; denn die Menschen sind im höchsten Grade zu diesen Ergötzlichkeiten geneigt. Jedoch ist ein solcher Gegensatz enthalten im Stumpfsinn. Und diese Sünde findet sich in jenem, der bis zu dem Grade den Gebrauch der Frau im allgemeinen verabscheut, daß er auch seiner Gattin gegenübes der ehelichen Pflicht nicht nachkommt.
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