Fünfter Artikel. Die Verblendung, die Unüberlegtheit, die Überstürzung, die Unbeständigkeit, die Selbstsucht, der Haß Gottes, die Liebe zur Welt, der Schrecken vor der Ewigkeit sind die Kinder der Wollust.
a) Diese Aufzählung scheint keine richtige. Denn: I. Die Verblendung, Unüberlegtheit, Überstürzung gehören zur Unklugheit; und diese findet sich in jeder Sünde. Also sind sie nicht speciell Kinder der Wollust. II. Die Beständigkeit ist ein Teil der Stärke; also nicht die Unbeständigkeit ein Teil der Wollust, welche der Mäßigkeit entgegensteht. III. .,Die Selbstsucht, die bis zur Verachtung Gottes reicht, ist der Anfang aller Sünde.“ (14. de civ. Dei ult.) Also ist sie keine Tochter der Wollust. IV. Isidor (comm. in Deut. 16.) nennt vier Kinder der Wollust: „das schmutzige, geschwätzige, weichliche, thörichte Sprechen.“b ) Ich antworte; wenn die niederen Kräfte in heftiger Weise ihren Gegenständen sich zuwenden, so folgt daraus, daß die höheren Kräfte in ihren Thätigkeiten gestört und ungeregelt sind. In der Sünde der Wollust aber wendet sich in überaus heftiger Weise das niedere Begehren, nämlich die Begehrkraft, seinem Gegenstande zu auf Grund der Stärke des leidenschaftlichen Eindruckes und des Ergötzens. Also werden die höheren Kräfte, die Vernunft und der Wille, im höchsten Grade regellos. Nun entsprechen der Vernunft vier Thätigkeiten im Bereiche ihres Wirkens. Da ist 1. das einfache Erfassen, was da einen Zweck als etwas Gutes versteht; und diese Thätigkeit wird durch die Wollust gehindert nach Dan. 13.: „Die schöne Gestalt hat dich getäuscht und die Begierde hat dein Herz verkehrt.“ Danach wird die geistige Verblendung angesetzt. Die zweite Thätigkeit ist das Beratschlagen über das, was dem Zwecke an gemessen ist. Darüber sagt Terenz (Eunuch. 1. sen. 1.): „Die Wollust hat in sich weder Rat noch irgend ein Maß, du kannst sie nicht durch das Beraten regeln.“ Dementsprechend ist die Übereilung eine Tochter der Wollust. Die Vernunft hat 3. zu urteilen, worüber Dan. 13. gesagt wird: „Sie haben ihren Sinn abgewendet,… daß sie nicht gedachten des gerechten Urteilens.“ Danach wird die Unüberlegtheit eine Tochter der Wollust genannt. Vorzuschreiben ist 4. Sache der Vernunft, worin die Begierde hindert, daß der Mensch nicht ausführe, was er zu thun sich vorgenommen hat. Und dem entspricht die Unbeständigkeit, worüber Terenz sagt (l. c.) mit Rücksicht auf einen, der von seiner Freundin ablassen wollte: „Diese Worte wird ein einziges falsches Thränchen unwirksam machen.“ Der Wille ferner erstreckt sich 1. auf den Zweck, den er begehrt; und da ist Regellosigkeit die Selbstsucht, nämlich die ungeregelte Sucht nach dem eigenen Vergnügen; und im Gegensätze dazu der Haß Gottes, der ja verbietet das begehrte Ergötzen. Der Wille erstreckt sich 2. auf das Zweckdienliche und so ist er vermittelst der Wollust ungeregelt als Liebe zum gegenwärtigen Leben, zur Welt; und im Gegensatze dazu als Schrecken vor der Ewigkeit, denn da der wollüstige die fleischlichen Ergötzlichkeiten sucht, hat er Ekel vor den geistigen Freuden.
c) I. „Die Unmäßigkeit ist im höchsten Grade das Verderben der Klugheit;“ heißt es 6 Ethic. 5. Die Laster also, welche der Klugheit entgegengesetzt sind, entspringen zumeist der Wollust als der hauptsächlichsten Gattung der Unmäßigkeit. II. Die Standhaftigkeit in großen und schrecklichen Schwierigkeiten ist ein Teil der Stärke; die Standhaftigkeit im Fernbleiben vom Ergötzlichen ist ein Teil der Enthaltsamkeit, also in erster Linie der Mäßigkeit (Kap. 143). Und sonach ist die Unbeständigkeit, welche dieser letzteren entgegengesetzt ist, eine Tochter der Wollust. Jedoch auch die Unbeständigkeit im erstgenannten Sinne kommt von der Wollust, insoweit diese das Herz des Menschen weichlich und weibisch macht, nach Oseas 4.: „Unzucht, Wein und Trunkenheit nehmen das Herz fort;“ und Vegetius (1. de re militari 3.) sagt: „Minder fürchtet den Tod, wer minder in seinem Leben die Ergötzlichkeiten kannte.“ Der Gegenstand nämlich für die Sünden, welche aus einer Hauptsünde entspringen, braucht nicht der nämliche zu sein wie der für die Hauptsünden selber, wie bereits öfter gesagt. III. Die Selbstsucht im allgemeinen, insoweit sie irgend welche beliebige Güter für die eigene Person begehrt, ist das gemeinsame Princip aller Sünden. Insoweit jemand für sich selber fleischliche Ergötzlichkeiten begehrt, ist sie ein Kind der Wollust. IV. Was Isidor ansetzt, bezieht sich auf die Regellosigkeit in der äußeren Thätigkeit und zumal in der Rede. Da findet sich in vierfacher Weise etwas Regelloses: 1. mit Rücksicht auf den Gegenstand der Worte, nämlich schmutziges Sprechen, nach Matth. 12.: „Aus der Überfülle des Herzens spricht der Mund;“ — 2. mit Rücksicht auf die Ursache; denn die Wollust verursacht Überstürzung und Unüberlegtheit, macht also, daß man in der Weise des Schwätzens spricht; — 3. mit Rücksicht auf den Zweck; denn die Wollust sucht Ergötzen und will deshalb Weichliches sprechen; — 4. mit Rücksicht auf den Inhalt; denn die Wollust verursacht geistige Blindheit und flößt somit thörichte Worte ein, insoweit sie mit diesen Worten vor allem Anderen das Ergötzen erstrebt.
