Vierter Artikel. Die Wollust ist eine Hauptsünde.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Wollust scheint dasselbe zu sein wie Unreinheit (Glosse zu Ephes. 5) die doch eine Tochter der Gaumenlust ist. II. Isidor schreibt (2. de summo bono 39.): „Wie man durch den Hochmut des Geistes gelangt zur feilen Begierde, so kommt man durch die Demut des Geistes zur Keuschheit des Fleisches.“ Eine Hauptsünde aber entsteht ihrem Wesen nach nicht aus einer anderen. III. Nach Ephes. 4,19. „überlassen sich jene, die verzweifeln, der Schamlosigkeit.“ Die Verzweiflung aber, welche danach die Wollust verursacht, ist keine Hauptsünde, sondern eine Tochter der geistigen Trägheit; also ist es noch minder die Wollust selber. Auf der anderen Seite setzt Gregor (31. moral. 17.) die Wollust unter die Hauptsünden.
b) Ich antworte, jede Hauptsünde habe an sich betrachtet einen Zweck, der sehr begehrbar ist; so daß kraft des Begehrens danach der Mensch dazu kommt, viele andere Sünden zu begehen, von denen man dann sagt, sie hätten ihren Ursprung in der betreffenden Hauptsünde. Der Zweck der Wollust aber ist das Ergötzen an Geschlechtlichem, was das größte sinnliche Ergötzen ist. Nun ist solches Ergötzen im höchsten Grade erstrebenswert, soweit es auf das sinnliche Begehren ankommt; sowohl wegen der hohen Stärke des Ergötzens, als auch weil letzteres so sehr mit unserer Natur verwandt ist. Somit ist die Wollust eine Hauptsünde.
c) I. Jene Unreinheit ist nach einigen eine gewisse körperliche Unreinheit. (Kap. 148, Art. 6.) Sollte sie aber in der Bedeutung der Wollust genommen werden, so geht sie von der Gaumenlust aus, inwieweit die Gaumenlust gleichsam den Stoff, das Bestimmbare, liefert für die körperliche Wollust, also materialiter; nicht aber insoweit der Zweck in Betracht kommt. Gerade jedoch mit Rücksicht auf den Zweck wird der Ursprung der Sunden aus den Hauptsünden erwogen. II. Der Hochmut oder Stolz ist die Quelle und Wurzel aller Sünden, auch der Hauptsünden. III. Viele enthalten sich der geschlechtlichen Ergötzungen wegen der Hoffnung auf die zukünftige Herrlichkeit; und diese Hoffnung wird durch die Verzweiflung entfernt. Letztere also ist nicht an und für sich, kraft ihres Wesens, Ursache der Wollust; sondern weil sie das Hindernis entfernt.
