Erster Artikel. Es giebt eine Prophetie der Vorherbestimnmng von seiten Gottes, des Vorherwissens und der Drohung.
a) Zu Matth. 1. (Ut adimpteretur) sagt die Glosse: „Die eine Prophetie ist die, welche aus der Vorherbestimmung Gottes kommt, die jeder Weise erfüllt werden muß, wie diese hier ecce Virgo concipiet; und zwar wird sie erfüllt abgesehen von unserem freien Willen; — die andere ist die aus dem Vorherwissen Gottes folgt, worin in etwa unser freie Wille eintritt; — die dritte wird die der Drohung genannt, welche die göttliche Strafe andeuten soll.“ Diese Einteilung ist unzulässig. Denn: I. Jede Prophetie besteht gemäß dem göttlichen Vorherwissen (s. oben). Hier aber steht eine solche Prophetie nur als Teilglied neben den anderen Teilen. II. Nicht nur wird prophetisch etwas angedroht, sondern auch Manches verheißen. Denn Jerem. 18, 7. heißt es zwar: „Ich will sprechen gegen das Volk und das Reich; es entwurzeln und zerstören…;“ aber darauf folgt: „Ich will sprechen über das Volk und das Reich, daß ich aufbaue und pflanze. Thut es Übels, so will ich bereuen was ich Gutes gesagt habe, daß ich ihm es thun will.“ Also muß auch eine Prophetie der Verheißung angesetzt werden. III. Isidor kennt sieben Arten Prophetie (7 Etymol. S.): 1. die Ekstase, wie bei Petrus als er das Gefäß vom Himmel sich herabsenken sah; — 2. das Gesicht, wie bei Isaias: Ich sah den Herrn sitzend …“; — 3. das Traumbild, wie die Himmelsleiter Jakobs; — 4. das Wolkenbild, wie der Herr zu Moses sprach durch die Wolke; — 5. die Stimme vom Himmel, wie bei Abraham; — 6. die passende Parabel, wie bei Balaam; — 7. das Angefülltsein vom heiligen Geiste, wie fast bei allen Propheten. Zudem kennt er noch andere drei Arten: 1. vermittelst der körperlichen Augen; — 2. vermittelst der Phantasiebilder; — 3. vermittelst der rein geistigen Anschauung. Also ist die obige Einteilung ungenügend.
b) Ich antworte, die Gattungen in den moralischen Thätigkeiten und Zuständen werden unterschieden gemäß den Gegenständen. Der Gegenstand der Prophetie aber ist das in der göttlichen Kenntnis Befindliche und die menschliche Kraft Übersteigende. Nun ist in der göttlichen Kenntnis etwas: 1. insoweit es in seinen Ursachen enthalten ist; und daraus bezieht sich die Prophetie der Drohung, die nicht immer erfüllt wird, sondern nur die Beziehung der Ursache zur Wirkung anzeigt, welche Beziehung auf Grund dessen, was dazwischen kommt, wirkungslos sein kann; — 2. insoweit das Gekannte als in sich bestehend thatsächlich von Ewigkeit dem Blicke Gottes gegenwärtig ist; und zwar kennt dies Gott vorher entweder als von ihm zu Verursachendes; darauf bezieht sich die Prophetie der Vorherbestimmung, „denn Gott bestimmt vorher das was nicht in uns ist“ (Dam. 2. de orth. fide 30.), oder als vom freien Willen Ausgehendes; darauf bezieht sich die Prophetie des Vorherwissens, von welchen beiden die erste nur auf die guten sich bezieht, die zweite auf die guten und bösen. Und weil die Vorherbestimmung im Vorherwissen einbegriffen ist, deshalb nennt Cassiodor (supra prol. Hier.) nur die Prophetie des Vorherwissens und der Drohung.
c) I. Das Vorherwissen in Gott bezieht sich im eigentlichen Sinne auf die Dinge, soweit sie in sich selber thatsächlich sind; danach wird die eine Gattung der Prophetie genannt. Insofern es aber genommen wird als sich beziehend sowohl auf die Dinge in ihrem thatsächlichen Bestände als Gott gegenwärtige wie auch zugleich insoweit sie in ihren Ursachen enthalten sind, wird es für Prophetie im allgemeinen gebraucht. II. Die Prophetie des Verheißens ist inbegriffen in der des Drohens; denn ein und derselbe maßgebende Grund besteht in beiden. Man nennt sie nach dem Drohen, weil Gott mehr geneigt ist, Strafen zu erlassen wie verheißene Wohlthaten zu entziehen. III. Isidor unterscheidet gemäß der Art und Weise des Prophezeiens, also entweder nach den drei Erkenntniskräften im Menschen: dem äußeren Sinn, der Einbildungskraft und der Vernunft, wonach drei Arten Prophetie unterschieden werden; oder nach der Verschiedenheit des prophetischen Einflusses. So steht mit Rücksicht auf die Erleuchtung des vernünftigen Geistes Nr. 7.: das Angefülltsein mit dem heiligen Geiste; — mit Rücksicht aus das Einprägen der Phantasiebilder steht da: das Traumbild Nr. 3, das Gesicht Nr. 2, und die Ekstase Nr. 1, wodurch der Mensch zu Höherem erhoben wird; — mit Rücksicht auf die sinnlich wahrnehmbaren Zeichen steht da: Nr. 4. die Wolke als dem Auge erscheinend, Nr. 5. die Stimme außen, welche das Ohr wahrnimmt und Nr. 6. das Wort eines Menschen, im Gleichnisse gesprochen.
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