Erster Artikel. Die Freiheit oder die Dienstbarkeit stellen vorzugsweise die Verschiedenheit unter den Ständen der Menschen her und sind dafür der maßgebende Grund.
a) Darin besteht keinerlei maßgebender Grund für den Unterschied der Stände. Denn: I. „Stand“ kommt vom „Stehen“. Es steht aber jemand, wenn er aufrecht sich hinstellt, nach Ezech. 2, 1.: „Menschenkind! stehe auf deinen Füßen.“ Und Gregor sagt (7. moral. 17.): „Vom Stande der Geradheit fallen ab und gehen zu Grunde, die in schädliche Worte zerfließen.“ Solche Geradheit nun oder aufrechte Stellung gewinnt jemand dadurch, daß er seinen Willen Gott unterwirft, wie Augustin bemerkt zu Ps. 32.: „Aufrecht stehen jene, welche ihr Herz nach dem Willen Gottes richten.“ Also nur der Gehorsam gegen Gott ist der maßgebende Grund für den Wesenscharakter eines Standes. II. Der Ausdruck „Stand“ schließt Unbeweglichkeit ein, nach 1. Kor. 15.: „Stehet aufrecht und seid unbeweglich;“ so daß Gregor bemerkt zu Ezech. hom. 21.: „Der Stein ist im Quadrat und gleichsam von jeder Seite her feststehend, so daß ihm von keiner Seite her Veränderung droht, daß er falle.“ Die Tugend aber macht, daß man unverrückbar wirke. (2 Ethic. 1. et. 2.) Also auf Grund jeder tugendhaften Thätigkeit gewinnt man einen Stand. III. Der Ausdruck „Stand“ schließt eine gewisse Erhöhung ein; denn es steht jemand, wenn er sich in die Höhe richtet. Durch die verschiedenen Ämter aber wird der eine höher gestellt wie der andere; auch die verschiedenen Berufsarten stellen den einen höher wie den anderen. Also diese Verschiedenheit allein ist der Grund fiir die Unterscheidung der Stände unter den Menschen. Auf der anderen Seite heißt es in der Dekretale (2 Qq. 6. c. 40.): „Wann es sich um Leben und Tod oder um den Stand handelt, dann soll man persönlich handeln und nicht durch Vertreter;“ wo „Stand“ heißt: „frei sein“ oder „dienstbar sein“. Also nur was zur Freiheit oder Dienstbarkeit gehört, verändert den „Stand“.
b) Ich antworte, „Stand“ bezeichne im Wortsinne eine gewisse Lage oder Stellung, womit je nach der Weise der betreffenden Natur eine gewisse Unbeweglichkeit verbunden ist. Denn dem Menschen ist es naturgemäß, daß sein Haupt nach oben sich richte und die Füße auf der Erde feststehen, während die übrigen Glieder je nach der ihnen gebührenden Ordnung sich verhalten. Dies findet jedoch nicht statt, wenn der Mensch liegt oder sitzt, sondern nur wenn er aufrecht steht. Und man sagt auch nicht, er stehe, wenn er sich bewegt, sondern wenn er ruhig ist. Danach nun spricht man bei menschlichen Handlungen und Geschäften von einem „Stande“, je nachdem die ordnungsgemäße gebührende Lage eingehalten wird mit einer gewissen Ruhe und Unbeweglichkeit. Deshalb bildet das bei den Menschen, was 1. äußerlich ist und 2. leicht sich ändert, nicht den Grund für einen „Stand“, also z. B. daß jemand reich ist oder arm, hochgestellt oder gewöhnlicher Bürger u. dgl.; so daß auch im bürgerlichen Rechte (de senatoribus) gesagt wird, jenem, der aus dem Senate gestoßen wird, werde nicht ein „Stand“, sondern eine Würde genommen. Nur das also scheint einen „Stand“ herzustellen beim Menschen, was Rücksicht nimmt auf die persönliche Verpflichtung des Menschen, ob er nämlich das Recht hat, über seine Person zu verfügen oder nicht. Und zwar muß es sich hier um etwas Dauerndes und Ständiges handeln; und das ist was sich auf die Freiheit oder Dienstbarkeit bezieht. Also der „Stand“ hat im eigentlichen Sinne zu thun mit der Freiheit und Dienstbarkeit als seinem maßgebenden Grunde, sei dies im Bereiche des Geistigen oder des Bürgerlichen.
c) I. Die Geradheit oder das Aufrechte macht für sich allein nicht den Wesenscharakter eines Standes aus; sondern nur insoweit solches Aufrechte dem Menschen überhaupt natürlich ist und verbunden erscheint mit einer gewissen Ruhe und Unbeweglichkeit. So stehen die Tiere, ohne daß dazu aufrechte Haltung erfordert wird; und auch die Menschen stehen nur dann, obgleich sie aufrecht sind, wenn sie ruhig stehen. II. Die Unbeweglichkeit genügt nicht zum Wesen des „Standes“. Denn auch der liegende und sitzende ruht; man sagt aber nicht, daß er „stehe“. III. Das Amt hat Beziehung zur Thätigkeit; die Stufe oder der Grad wird gemäß der Vorsteherschaft und dem Untergebensein aus gesagt. Zum Stande aber gehört Unbeweglichkeit in dem, was zur Lage der Person gehört.
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