Zweiter Artikel. Zweckmäßiges Thätigsein ist keine unterscheidende Eigenheit der Vernünftigen Natur.
a) Dagegen spricht: I. Der Mensch, dem es doch zukommt, um des Zweckes willen zu handeln, handelt nie um eines Zweckes willen, den er nicht kennt. Viele Wesen aber giebt es, die den Zweck ihrer Thätigkeit nicht erkennen; sei es daß sie ganz und gar jeglicher Erkenntniskraft ermangeln wie jene, welche keinerlei Sinn haben; sei es daß sie nicht den inneren Grund ihres Zweckes erkennen, somit ihrer Zweckrichtung sich nicht bewußt sind, wie die vernunftlosen Tiere. Also scheint es allein der vernünftigen Natur eigen zu sein, daß sie zweckgemäß thätig ist. II. Zweckgemäß handeln heißt seine Thätigkeit zu einem Zwecke hin beziehen. Das aber ist die Aufgabe der Vernunft. Also ist die Thätigkeit der vernunftlosen Kreatur nicht um eines Zweckes willen. III. Das Gute und der Zweck ist Gegenstand des Willens. Der Wille aber ist in der Vernunft, wie Aristoteles sagt. (III. de anima.) Also nur die vernünftige Kreatur handelt zweckgemäß. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (2 Physic.): „Nicht allein die Vernunft, auch die Natur ist um eines Zweckes willen thätig.“
b) Ich antworte; Alles, was thätig ist, muß thätig sein, um einen Zweck zu erreichen. Denn wenn von einer Reihe Ursachen, in denen das eine Glied vom anderen in geregelter Weise abhängig ist, die erste entfernt wird, so fallen auch die folgenden fort. Unter allen Ursachen die erste aber ist die Zweckursache. Der Grund dafür ist folgender: Der Stoff erhält nicht seine Form, wenn er nicht unter der bewegenden Kraft des Einwirkenden steht; denn nichts kann aus sich selbst allein vom Zustande des Vermögens in den der Thätigkeit übergehen. Der Einwirkende aber setzt nur in Bewegung, soweit er die Absicht hat, einen Zweck zu erreichen; denn wäre der Einwirkende nicht auf eine bestimmte Wirkung gerichtet, so würde er nicht mehr das eine thun wie das andere. Dazu also, daß er eine bestimmte, einzelne Wirkung hervorbringe, ist es notwendig, daß er zu einer solchen hingeordnet sei; und das nun eben, was ihn vielmehr zu dieser Wirkung hinordnet wie zu jener, hat den Charakter des Zweckes. Diese Bestimmung oder Hinordnung im Einwirkenden selber jedoch, welche auf eine in sich abgegrenzte Wirkung gerichtet ist, vollzieht sich in der vernünftigen Natur vermittelst der vernünftigen Neigung, die „Wille“ heißt; in den anderen Dingen aber durch die mit der Natur gegebene Neigung, welche als „natürliches Begehren“ bezeichnet wird. Dabei ist zu erwägen, daß ein Wesen mit seiner Thätigkeit oder seiner Bewegung in doppelter Weise nach der Erreichung des Zweckes strebt: einmal insoweit es sich selber zum Zwecke hin bewegt, wie der Mensch; dann insoweit es von etwas Anderem zum Zwecke hin bewegt wird, wie der Pfeil zum bestimmten Ziele strebt auf Grund der Bewegung, die ihm der Schütze eingedrückt. Jene Wesen also, welche Vernunft besitzen, bewegen sich selber zum Zwecke hin; denn kraft der freien Wahl, die da dem Willen und der Vernunft als Fähigkeit zugehört, sind sie Meisterihrer Handlungen. Jene Wesen aber, welche der Vernunft entbehren, sind auf das Ziel gerichtet kraft naturnotwendiger Hinneigung, wie von einem Anderen, Außenstehenden in Bewegung gesetzt und nicht von sich selbst; denn sie kennen nicht den Grund des Zweckes. Sie selber können somit nichts zum Zwecke hinordnen, sondern sie werden hingeordnet zum Zwecke von einem Anderen. Die gesamte vernunftlose Natur nämlich steht zu Gott in Beziehung wie ein Werkzeug zum Haupteinwirkenden; wie früher schon gesagt worden. Und somit ist es eine unterscheidende Eigenheit der vernünftigen Natur, daß sie zum Zwecke hinstrebt wie sich selbst bestimmend oder lenkend zum Zwecke. Die vernunftlose Natur aber ist thätig um des Zweckes willen wie von einem Anderen, Außenstehenden bestimmt und gelenkt; sei es daß sie den Zweck auffaßt wie die vernunftlosen Tiere, sei es daß sie ihn nicht auffaßt wie die aller Kenntnis baren Wesen.
c) I. Auch beim Menschen kann der nämliche Unterschied gemacht werden. Denn wenn derselbe sich selbst zum Zwecke hinlenkt und demgemäß wirkt, so kennt er den Zweck. Wenn er aber von einem anderen geführt und getrieben wird, wie z. B. wenn er unter dem Befehle eines anderen handelt oder einzig und allein auf den Antrieb eines anderen hin bewegt wird, so braucht er nicht den Zweck zu kennen. Dies letztere hat statt bei den der Vernunft baren Wesen. II. Zum Zwecke hinordnen gehört jenem Wesen zu, welches sich selbst zum Zwecke hin bewegt. Welches Wesen auch immer aber von einem anderen bewegt wird, dem gehört es auch zu, zu einem Zwecke hingeordnet zu werden; — und das kann zukommen der vernunftlosen Natur, jedoch nur von seiten eines Wesens, das Vernunft besitzt. III. Der Gegenstand des Willens ist das Gute und der Zweck im allgemeinen. Willen also können jene Wesen nicht haben, welche der Vernunft ermangeln und somit einen allgemeinen Grund nicht auffassen. Vielmehr ist in denselben ein mit der bloßen Natur von vornherein gegebenes oder ein durch die Auffassung der Sinne geleitetes Begehren; und zwar ist dieses dann auf ein besonderes beschränktes Gut gerichtet. Nun ist es aber offenbar, daß beschränkte besondere Ursachen in Thätigkeit gesetzt werden von der betreffenden allgemeinen Ursache; wie z. B. der Leiter des ganzen Staates, dessen Absicht also auf das Beste des ganzen Staates gerichtet ist, durch seinen Befehl in Thätigkeit setzt alle einzelnen beschränkten Ämter des Staates. Und deshalb müssen alle der Vernunft baren Wesen in ihre besonderen Zweckrichtungen gelenkt werden von einem vernünftigen Willen, welcher das Gesamtbeste beabsichtigt; nämlich vom göttlichen Willen.
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