Siebenter Artikel. Es besteht ein einiger letzter Endzweck für alle Menschen.
a) Dagegen scheint: I. Der letzte Endzweck des Menschen ein unveränderliches Gut zu sein. Viele aber fallen durch die Sünde vom unveränderlichen Gute ab. II. Der letzte Endzweck regelt das ganze menschliche Leben. Bestände also nur ein einziger für alle Menschen, so existierte keine Verschiedenheit in der Lebensweise und es wären keine verschiedenen Berufsarten. III. Der Zweck ist der Endpunkt des Handelns. Handlung aber gehört den einzelnen an. Da also die Menschen rücksichtlich der Persönlichkeit verschieden sind, wenn ihnen auch die Wesensgattung gemeinsam ist, so darf nicht ein einziger Zweck für alle Menschen angenommen werden. Auf der anderen Seite sagt Augustin (13. de Trin. c. 4.): „Alle Menschen kommen darin überein, daß sie die Seligkeit als letzten Endzweck erstreben.“
b) Ich antworte, daß wir über den letzten Endzweck in doppelter Weise sprechen können: einmal insoweit er in seiner Natur, als letzter Endzweck an sich, betrachtet wird; dann insofern selbiger in einem Dinge vorgefunden wird. Im erstgenannten Falle kommen alle Menschen darin überein, daß sie ihre Vollendung erstreben. Das ist aber gerade der Grund und der Inhalt, die Natur des letzten Endzweckes. Im zweitgenannten Falle kommen nicht alle Menschen überein im letzten Endzwecke. Denn manche erblicken ihre Seligkeit im Reichtume, manche im Vergnügen, wieder andere in anderen Dingen; — wie ja auch jedem Geschmacke die Süßigkeit ergötzlich ist; manchen aber gefällt mehr die Süße des Weines, anderen mehr die des Honigs u. s. w. Jenes Süße aber muß im Ganzen und ohne Umschweife im höchsten Grade ergötzlich sein, was jenem gefällt, der den besten Geschmacksinn besitzt. Und so muß jenes Gut das vollendetste sein, was als letzten Endzweck jener begehrt, dessen Wille und Neigung in bester Verfassung ist.
c) I. Jene, welche sündigen, wenden sich ab von demjenigen Gute, worin wahrhaft der ganze Grund des letzten Endzweckes gefunden wird; nicht aber vom letzten Endzwecke selber, den sie fälschlicherweise in anderen Dingen suchen. II. In verschiedenen Dingen sucht man das höchste Gut; und deshalb bestehen verschiedene Bestrebungen und Lebensweisen in den Menschen. III. Das erste Princip für alles Handeln bei den Menschen ist die Natur; und diese erstrebt das Eine. Also kommt da die Verschiedenheit der Personen nicht in Betracht.
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