Dritter Artikel. Der Zweck giebt den menschlichen Wandlungen die sie voneinander unterscheidende Wesensgattung.
a) Dem scheint nicht so. Denn: I. Der Zweck ist eine außerhalb des Handelnden befindliche Ursache. Jegliches Ding aber hat seine Gattung von einem in ihm bestehenden Princip. Also kommt diese Gattung bei den menschlichen Handlungen nicht vom Zwecke. II. Das, von wo aus die Wesensgattung bestimmt wird, muß früher sein als das betreffende Ding, welches diese Gattung hat. Der Zweck aber ist dem thatsächlichen Sein nach später als der auf ihn gerichtete Akt. III. Die eine und selbe menschliche Handlung kann nicht verschiedenen Wesensgattungen zugehören; denn jedes Sein hat nur eine Gattung. Da nun die eine und selbe Handlung auf verschiedene Zwecke gerichtet sein kann, so kommt die Wesensgattung der menschlichen Handlung nicht vom Zwecke her. Auf der anderen Seite sagt Augustin (de morib. Manich. c. 13.): „Gemäß dem daß der Zweck schuldvoll oder lobenswert ist, sind unsere Werke schuldvoll oder lobenswert.“
b) Ich antworte: Jegliches Ding wird einer Gattung zugewiesen gemäß seinem thatsächlichen Sein oder Wirken; und nicht gemäß dem Vermögen für das Sein. Die Dinge also, welche aus Stoff und Form zusammengesetzt sind, bestehen in ihren Gattungen kraft der ihnen eigenen, ihr thatsächliches Sein bestimmenden Wesensformen. Dies nun muß man auch berücksichtigen bei den Bewegungen, die nicht einzig und allein in der Natur des beweglichen Dinges begründet sind, sondern von einem eigenen Momente her ihre Bestimmung haben. Denn da die Bewegung gewissermaßen gekennzeichnet wird durch Thätigsein und Leiden oder Empfangen, so erhält sie nach diesen beiden Seiten hin ihre bestimmte Gattung vom Thatsächlichen her. Soweit nämlich in jeder Bewegung ein Thätigsein ist, kommt die Gattung derselben von jenem Thatsächlichen oder jenem Akte, der das Princip für das Bewegen ist. Soweit aber in jeder Bewegung ein Leiden ist und somit das Bewegliche noch nicht da ist, wo es zu sein strebt, kommt die Gattung derselben von jenem Thatsächlichen, was der Grenzpunkt der Bewegung ist. So z. B. ist das Warmwerden, inwiefern darin das Thätigsein berücksichtigt wird, eine Bewegung, die von der Wärme als dem thatsächlich bereits warmen Princip ausgeht; und das Warmwerden, inwiefern es noch nicht den gewollten Grad erlangt hat, also ihn nur empfangen kann, ist eine Bewegung zur Wärme hin. Und auf jede von beiden Weisen erhalten die menschlichen Handlungen ihre bestimmte Gattung vom Zwecke her; sei es daß sie berücksichtigt werden in dem, was Thatsächliches in ihnen ist, insofern sie also vom thatsächlich Einwirkenden ausgehen oder sei es daß sie berücksichtigt werden in dem, was noch nicht in ihnen ist, was sie noch empfangen sollen. Oben nämlich ist gesagt worden, daß die menschlichen Handlungen so (menschliche) genannt werden, inwiefern sie nach reiflicher Überlegung vom Willen ausgehen. Da also der Gegenstand des Willens das Gute und der Zweck ist, so ist offenbar das Princip der menschlichen Handlungen als solche der Zweck. Und ähnlich ist er deren Grenzpunkt; denn die menschliche Handlung endet in das, was der Wille als Endzweck beabsichtigt hat, wie ja auch im Bereiche der stofflichen Natur die Wesensform im Erzeugten gleichförmig ist der Wesensform im Zeugenden. Und weil nach Ambrosius (sup. Lucam in praef. prope finem) das Sittliche im eigentlichen Sinne als menschlicher Akt bezeichnet wird, so erhalten die sittlichen Akte so recht eigentlich ihre Wesensgattung vom Zwecke; denn „menschliche“ und „sittliche“ Handlungen bedeutet dasselbe.
c) I. Der Zweck ist durchaus nicht etwas der Handlung Äußerliches; denn er steht zu ihr in Beziehung als ihr Princip oder ihr Grenzpunkt. Und dies eben selber gehört zur Natur der Handlung, daß sie von etwas Thatsächlichem herrühre, soweit das Thätigsein in ihr in Betracht kommtund daß sie in etwas Thatsächlichem ihre Grenze finde, soweit das leidende, empfangende Moment in ihr berücksichtigt wird. II. Gemäß dem daß der Zweck vorher in der Absicht oder der Meinung des Handelnden besteht, nicht insofern er thatsächlich erreicht ist, verleiht er der Handlung ihre Wesensgattung. Der eine und selbe Akt, soweit er für das eine Mal ausgeht vom Handelnden, wird nur auf einen nächsten Zweck bezogen und von diesem erhält er seine Wesensgattung. Er kann jedoch zugleich einen mehr entfernten Zweck oder selbst deren mehrere haben, so daß da der eine Zweck dem anderen dient. Zudem kann es geschehen, daß der eine und selbe Akt gemäß der Gattung, die er im Bereiche der Natur hat, bezogen wird auf verschiedene Zwecke, wie solche der Wille verfolgt. So hat z. B. der Akt, daß ich einen Menschen töte, im Bereiche der Natur ein und dieselbe Gattung, kann jedoch wie auf seinen Zweck bezogen werden sowohl darauf, daß der Gerechtigkeit Genüge geleistet werde, als auch darauf, daß man der Rachsucht fröhne; und danach würden es verschiedene Akte im Bereiche der Sittlichkeit sein, von denen der eine ein Tugendakt wäre, der andere ein Verbrechen. Dies hat aber darin seinen Grund, daß jegliche Bewegung ihre bestimmte Wesensgattung nicht erhält von dem, was zufälligerweise sie begrenzt, also nur unter stillschweigender Voraussetzung des eigentlichen, von der Bewegung selbst gewollten Grenzpunktes; sondern von dem, was an sich dieselbe beendet, nämlich wohin die einzelne Bewegung ihrer Natur nach getragen wird. Der Zweck im Bereiche der Sittlichkeit ist aber etwas Zufälliges für eine Sache, die als im Bereiche der Natur befindlich betrachtet wird. Und umgekehrt ist für eine sittliche Handlung als solche es etwas Zufälliges, wenn der Zweckgrund, wie er im Bereiche der Natur seine Gattung hat, berücksichtigt wird. Deshalb kann ganz wohl ein Akt, der nach der natürlichen Gattung ein und derselbe ist, gemäß der sittlichen Wesensgattung zu verschiedenen Arten gehören.
