Erster Artikel. Die Seligkeit des Menschen besteht nicht im Reichtume.
a) Dementgegen scheint zu sein: I. Die Schrift. Denn Ekkle. 10, 19. heißt es: „Dem Gelde gehorcht Alles.“ Darin aber gerade besteht die Seligkeit als letzter Endzweck, was am meisten die menschlichen Neigungen beherrscht. II. Boëtius (III. de Consol.): „Die Seligkeit ist ein durch die Ansammlung aller Güter vollendeter Zustand.“ Eben aber mit Hilfe des Geldes kann man Alles sich erwerben, wie Aristoteles schreibt (1 Polit. 6.): „Zu dem Zwecke ist die Münze erfunden, daß sie gleichsam wie ein Pfand sei, vermittelst dessen der Mensch haben kann, was er will.“ III. Die Schrift (Ekkle. 5,9.) wieder, die da sagt: „Das Verlangen des Geizigen wird niemals gestillt werden durch Geld.“ Das Verlangen nach dem höchsten Gute aber, woran man nie genug hat, scheint unendlich zu sein. Auf der anderen Seite besteht das Gut des Menschen mehr in der Wahrung der Seligkeit wie in dem Verlieren derselben. Boëtius aber sagt (II. de Consol.): „Die Reichtümer haben mehr Glanz, wenn sie verausgabt werden, als wenn man sie behält; denn der Geiz macht verhaßt, die Freigebigkeit geschätzt.“ Also besteht in den Reichtümern nicht des Menschen. Seligkeit.
b) Ich antworte, unmöglich könne des Menschen Seligkeit im Reichtume bestehen. Denn eine doppelte Art Reichtum giebt es nach Aristoteles. (1 Polit. 6.) Es besteht nämlich ein natürlicher Reichtum, der dazu dient, dem natürlichen Mangel des Menschen zu begegnen; dazu gehören die Speisen, die Getränke, die Kleider, die Fuhrwerke, die Wohnungen und Ähnliches. Die andere Art ist jene, welche für sich betrachtet den Bedürfnissen des Menschen nicht abhilft, wie das Geld; sie ist von der menschlichen Kunst behufs der Leichtigkeit des Austausches erfunden worden, gleichsam als Maß der käuflichen Sachen. In der ersten Art Reichtum nun kann die menschliche Seligkeit nicht bestehen. Denn solcher Reichtum wird gesucht als Mittel, um die Natur zu stützen; er besteht also vielmehr wegen der Natur als zweckdienliches Mittel, als daß die Natur wegen seiner besteht. Im Bereiche der Natur also sind alle derartigen Dinge unter dem Menschen; weshalb der Psalmist sagt (8.): „Alles hast du ihm zu Füßen gelegt.“ Die zweite Art Reichtum wird nur gesucht wegen der ersten. Denn vermittelst des Geldes kauft man das für das Leben Notwendige. Also noch weit weniger trägt er den Charakter des letzten Zweckes.
c) I. Alles Körperliche gehorcht dem Gelde, wenn die Menge der Thoren berücksichtigt wird, welche nur körperliche Güter kennen; denn diese können mit Geld erworben werden. Ein maßgebendes Urteil aber rücksichtlich der wahren menschlichen Güter darf man nicht von den Thorenerwarten, sondern von den Weisen; wie ein gesundes Urteil über die Farben nicht von denen erwartet wird, welche kranke Augen haben. II. Was käuflich ist, kann mit dem Gelde erworben werden. Geistige Güter aber sind nicht käuflich. „Was nützt dem Thoren der Reichtum,“sagt Prov. 17., „da er Weisheit nimmer kaufen kann!“ III. Das Verlangen nach „natürlichem Reichtume“ ist nicht unendlich; denn er genügt in gewissen Grenzen der Befriedigung natürlicher Bedürfnisse. Das Verlangen nach „künstlichem Reichtume“ aber ist ohne Maß und Ende; denn es dient der ungeordneten Begierlichkeit, welche kein Maß hat. (1 Po!it. 6.) Anders aber verhält es sich mit dem unendlichen Verlangen nach Reichtum wie mit dem unendlichen Verlangen nach dem höchsten Gute. Denn je vollkommener das höchste Gut besessen wird, desto mehr wird es geliebt und Anderes verschmäht; um so besser nämlich wird es gekannt, je mehr man es besitzt, weshalb es Ekkli. 24. heißt: „Die von mir essen,werden noch hungern.“ Umgekehrt aber liegt der Fall beim Verlangen nach Reichtum. Denn soweit er besessen wird, verachtet man ihn und will Anderes, wie der Herr selbst (Joh. 4.) dies andeutet: „Wer von diesem Wasser trinkt, der wird von neuem Durst haben,“ wo Er unter „diesem Wasser“ die zeitlichen Güter meint. Der Grund ist offenbar; denn wie ungenügend und mangelhaft diese Güter sind, wird desto mehr erkannt, je mehr sie besessen werden. Dieser Umstand also zeigt gerade ihre Unvollkommenheit und daß in ihnen das höchste Gut nicht besteht.
