Fünfter Artikel. Die Seligkeit des Menschen besteht in keinem Gute des Körpers.
a) Dementgegen heißt es: I. Ekkli. 30.: „Keine Abschätzung steht über der Abschätzung und dem Werte des körperlichen Wohles.“ Darin aber was als das Beste geschätzt wird besteht die Seligkeit. II. „Sein ist besser als leben und leben ist besser als Alles, was es begleitet,“ sagt Dionysius. (5. de div. nom.) Zum Sein oder zum Lebendes Menschen aber wird das Wohl des Körpers erfordert. Da also dieSeligkeit das höchste Gut des Menschen ist, so gehört im höchsten Gradedazu das Wohl des Körpers. III. Je mehr etwas allgemein ist, desto höher ist das Princip, von dem es abhängt. Denn je erhabener eine Ursache, desto größer ist ihr Wirkungskreis. Wie aber die Ursächlichkeit des wirkenden Grundes berücksichtigt wird gemäß der mehr oder minder großen Tiefe des Einflusses desselben,so richtet sich die Ursächlichkeit des Zweckgrundes nach dem Begehren. Wie es also der erste wirkende Grund ist, der in Alles einfließt, so ist es der letzte Endzweck, der von Allem verlangt wird. Das Sein selber aber wird von allen Dingen am meisten erstrebt und verlangt. Also darin was zum Sein des Menschen gehört und somit zum Wohle des Körpers besteht in erster Linie die Seligkeit. Auf der anderen Seite überragt gerade mit Rücksicht auf seine Seligkeit der Mensch alle Tiere. Er wird jedoch, soweit das Wohl des Körpers in Frage kommt, von vielen Tieren übertroffen; wie z. B. vom Elefanten in der Lebensdauer, vom Löwen in der Stärke, vom Hirsche in der Schnelligkeit.
b) Ich antworte, unmöglich könne in dem, was zu etwas Anderem als dem letzten Zwecke und als seiner eigenen Vollendung hingeordnet ist, den letzten Zweck bilden das Verharren im Sein. Deshalb geht die letzte und maßgebende Absicht des Schiffshauptmannes nicht auf die Erhaltung des ihm anvertrauten Schiffes; denn das Schiff hat nicht darin seinen Zweck, daß es überhaupt ist, sondern daß es der Schiffahrt dient. Wie aber ein Schiff dem Schiffshauptmanne überlassen wird, damit er es steuere, so ist der Mensch seinem freien Willen und seiner Vernunft überlassen nach jenem Worte im Ekkli. 15.: „Gott hat den ersten Menschen gebildet und hat ihn überlassen der Leitung seines Ratschlusses.“ Nun ist es jedoch offenbar, daß der Mensch zu etwas Anderem als seinem letzten Endzwecke hingeordnet ist; denn der Mensch ist nicht das höchste Gut. Also ist es unmöglich, daß der letzte Zweck der menschlichen Vernunft und Willensfreiheit das Beharren sei im menschlichen Sein. Selbst aber dies Letztere zugegeben, so kann trotzdem noch nicht gesagt werden, daß den letzten Endzweck des Menschen in irgend welcher Beziehung das Wohl des Körpers bilde. Denn das menschliche Sein besteht in der Seele und im Leibe. Nun hängt aber wohl das Sein des Körpers von der Seele ab; nicht aber das der menschlichen Seele vom Körper, wie oben (I. Kap. 75, Art. 1 und Kap. 90, Art. 4) gezeigt worden; — und der Körper selbst ist um der Seele willen, wie der Stoff Sein hat um seiner Form willen und die Werkzeuge da sind um dessentwillen, der sie gebraucht und in Thätigkeit setzt. Also beziehen sich alle Güter des Leibes auf die Güter der Seele als auf ihren Zweck. Unmöglich also kann im Wohle des Körpers die Seligkeit bestehen, nämlich der letzte Endzweck.
c) I. Wie der Körper da ist wegen der Seele, so haben alle äußeren Güter zum Zwecke den Körper selbst. Also wird das Wohl des Körpers mit Recht vorgezogen allen äußeren Gütern, welche durch den Ausdruck „Abschätzung“ bezeichnet werden; wie das Wohl der Seele vorangeht dem Wohle des Körpers. II. Das volle absolute Sein, welches alle Vollkommenheiten des Seins in sich einschließt, ragt hervor über das Leben und alle das Leben begleitenden Vollkommenheiten. So also hat das unbeschränkte Sein an sich von vornherein in sich alle denkbaren Güter, die „sein“ können; und danach spricht Dionysius. Wird jedoch das Sein berücksichtigt, insoweit daran dieses oder jenes Ding teilhat, welches alle Vollendung des Seins nicht in sich aufnehmen kann, sondern nur ein unvollkommenes Sein enthält, wie dies bei jedem Geschöpfe der Fall ist; — so wird offenbar das Sein vollkommener durch die Hinzufügung einer Vollkommenheit. Deshalb sagt an der angeführten Stelle der nämliche Dionysius: „Die lebenden Wesen stehenhöher als die bloß seienden; und die vernünftigen wieder überragen die lebenden.“ III. Eben weil das Ende dem Anfange entspricht, eben deshalb ist der letzte Endzweck das erste Princip für das Sein, jenes Princip nämlich, in welchem alle Vollendung des Seins sich findet, nach dessen Ähnlichkeit alle Dinge verlangen je nach ihrer Seinsweise: die einen nur, weil sie eben sind, die anderen zudem, weil sie leben; und wieder andere noch, weil sie leben oder dazu vernünftig erkennen oder endlich, weil seliges Sein ihnen innewohnt; — und letzteres ist bei wenigen der Fall.
