Sechster Artikel. Die Seligkeit besteht nicht im sinnlichen Vergnügen.
a) Dagegen spricht: I. Die Seligkeit wird nicht um eines anderen Gutes willen ersehnt,sondern vielmehr verlangt man nach Anderem um der Seligkeit willen. Dies aber ist am meisten dem Vergnügen eigen. Denn „lächerlich ist es“, nach Aristoteles (10 Ethic.), „jemanden zu fragen, warum er sich ergötzen will.“ II. Die erste Ursache dringt mit mehr Kraft und sonach tiefer in die Wirkung ein wie die nachfolgende, der ersten untergeordnete; nach dem lib. de causis. (Prop. 1.) Der Einfluß des Zweckes aber mißt sich ab am Begehren. Jenes Gut hat also den Charakter des letzten Zweckes, welches im höchsten Grade das Begehren erweckt. Ein solches Gut aber ist die sinnliche Freude; und das geht aus dem Zeichen derselben hervor, da sie die Thätigkeit des Willens und der Vernunft in dem Grade aufzehrt, daß alle anderen Güter verachtet werden. Also das sinnliche Vergnügen ist des Menschen Seligkeit. III. Alle begehren nach Ergötzung: Weise, Thoren und selbst die vernunftlosen Wesen. Das höchste Gut aber ist gerade jenes, nach welchem Alles verlangt. Also. Auf der anderen Seite sagt Boëtius (3. de Consol.): „Traurig ist der Ausgang der sinnlichen Freuden; das wird ein jeder verstehen, der sich seiner Begierlichkeiten erinnern will. Könnten sie jemanden selig machen, so bestände gar kein Grund, warum nicht auch die Tiere selig wären.“
b) Ich antworte; weil die sinnlichen Ergötzlichkeiten der großen Mehrzahl bekannt sind; deshalb wurde ihnen der Name „Vergnügen“ gegeben, wie Aristoteles (7 Ethic. 13.) bemerkt; als ob sie dem menschlichen Verlangen genügen könnten. Es besteht jedoch in denselben nicht in erster Linie die Seligkeit. Denn in jeglichem Dinge ist das, was zu seinem Wesen gehört, verschieden von jener Eigentümlichkeit, welche wohl dem Wesen immer folgt, jedoch ihrem thatsächlichen Sein nach von außen abhängt, vom proprium accidens; welche also nach der letzteren Seite hin zufällig ist. So ist im Menschen sein Wesen, daß er nämlich sinnbegabt, vernünftig und sterblich ist, verschieden von der dem Wesen selber anhaftenden Eigentümlichkeit, daß er zu lachen vermag, was kein Tier und kein Engel kann. Denn sein Wesen zwar ist immer dasselbe; jeder Mensch ist thatsächlich immer Mensch. Aber diesem Wesen ist es zu eigen, nur daß der Mensch lachen kann, nicht daß er immer thatsächlich lacht; der Grund von diesem Thatsächlichen liegt außen.Demgemäß muß man berücksichtigen, daß jedwede Ergötzlichkeit eine solche Eigentümlichkeit ist, welche der Seligkeit oder einer Seite derselben folgt. Deshalb nämlich ergötzt sich jemand thatsächlich, weil er ein ihm zukömmliches Gut entweder wirklich hat oder erhofft oder sich daran erinnert; während jedes Gut es in seinem Wesen einschließt, daß es ergötzen kann. Dieses zukömmliche Gut nun als ein allseitig vollendetes ist die Seligkeit selber des Menschen; ist es aber nach einer Seite hin unvollendet, so erscheint es als ein gewisser Anteil an der Seligkeit und zwar ein naher, oder ein entfernter oder wenigstens stellt sich dies der Mensch so vor. Danach also ist es offenbar, daß auch nicht jene Ergötzung selber, welche dem vollendeten Gute folgt, das Wesen der Seligkeit ist, sondern eine diesem Wesen anhaftende Eigentümlichkeit. Das sinnliche Vergnügen aber kann nicht einmal im letztgenannten Sinne dem vollendeten Gute folgen. Denn es folgt dem Gute, was und insoweit es der Sinn erfaßt, der eine mittels körperlichen Organs erfassende Seelenkraft ist. Das auf den Körper sich beziehende Gut indessen, welches allein ja der Sinn erfaßt, kann nicht das vollendete Gut des Menschen sein. Denn die vernünftige Seele ragt weit empor über jedes körperliche Maß und Verhältnis und demnach hat jene Seelenkraft, welche von jeglichem körperlichen Organ in dem ihr wesentlich eigenen Wirken unabhängig ist, eine gewisse Endlosigkeit im Vergleich mit dem Körper selbst und im Vergleich mit den eines körperlichen Organs bedürftigen Seelenkräften, die nicht bestehen und nicht geschaffen werden können, ohne daß die körperlichen Organe mitgeschaffen werden. So z. B. sind auch die unteilbaren Größen, wie die Wesensformen, gewissermaßen endlos mit Rücksicht auf das teilbare Stoffliche; denn die Form, welche an und für sich in endlos beliebigem Stoffe sein kann, wie das Dreieck im Stein oder Holz oder in endlos anderem Stoffe, wird erst durch den bestimmten Stoff begrenzt und beendet; weshalb die als vom Stoffe losgelöst betrachtete Form in diesem Sinne endlos ist. Demgemäß erkennt der Sinn, also eine körperliche Seelenkraft, das Einzelding, soweit es begrenzt und bestimmt ist durch den Stoff, soweit es also nicht das andere Einzelne ist. Die Vernunft aber, die eine vom Stoffe losgelöste Seelenkraft ist, erkennt das endlos Allgemeine, das vom Stoffe Losgelöste, worin endlos viel Einzelnes enthalten ist. So erhellt also, daß das dem Körper entsprechende und ihm zukömmliche Gut, welches kraft der sinnlichen Auffassung das körperliche Ergötzen verursacht, nicht das vollendete Gut des Menschen ist, sondern vielmehr etwas höchst Geringes im Vergleich zum Gute der Seele. Deshalb heißt es Sap. 7.: „Alles Gold ist im Vergleich mit der Weisheit wertloser Staub.“ Also ist das sinnliche Vergnügen weder die Seligkeit noch eine ihr stets anhaftende Eigentümlichkeit; nicht ein proprium oder per se accidens derselben.
c) I. Daß ein Gut ersehnt wird und daß das entsprechende Ergötzen ersehnt wird, ist ein und dasselbe. Denn das Ergötzen ist nichts Anderes als die Ruhe des Begehrens im Gute selber; und derselben Naturkraft z. B. wird es gedankt, daß der Stein nach der Tiefe verlangt und daß er nun da ruht. In der Weise also, wie ein Gut um seiner selbst willen erstrebt wird, so auch wird das entsprechende Ergötzen um seiner selbst willen erstrebt und nicht um eines anderen Gegenstandes willen, soweit nämlich der Zweckgrund in Betracht kommt. Wird jedoch die bewegende oder bestimmende Ursache berücksichtigt, insofern sie dem Begehren die bestimmte Form aufprägt, so ist das Ergötzen begehrenswert um etwas Anderem willen, nämlichum des Gutes willen, welches den Gegenstand des Ergötzens bildet und somit ist dieses Gut dann das Princip des Begehrens und prägt ihm die bestimmte Form auf. Denn deshalb wird das Ergötzen gesucht, weil es bedeutet: Ruhe im verlangten Gute. II. Die heftige fortreißende Kraft des sinnlichen Ergötzens kommt daher, daß die Thätigkeit der Sinne, als der Principien sinnlicher Kenntnis, mehr wahrnehmbar sind; und deshalb verlangt auch die große Mehrzahl nach sinnlichen Ergötzungen. III. Wie jemand das Gute erstrebt, so erstrebt er das Ergötzen; jedoch ist letzteres erstrebt auf Grund des Guten, um des Guten willen. Also folgt nicht, daß das Ergötzen an sich ein Gut oder gar das höchste sei; sondern daß jegliches Ergötzen ein Gut begleitet und ihm folgt; und daß eine gewisse Art Freude und Ergötzlichkeit auch dem Gute an sich und selbst dem größten folgt.
