Vierter Artikel. Die Seligkeit des Menschen besteht nicht in der Macht.
a) Dementgegen steht es fest: I. Die Menschen streben, Gott ähnlich zu werden, soweit Er letzter Endzweck und erstes Princip ist. Die machtvollen Menschen aber scheinen auf Grund ihrer Macht am meisten Gott ähnlich zu sein, weshalb sie in der Schrift „Götter“ genannt werden (Exod. 22.): „Den Göttern tritt nicht zu nahe.“ II. Im höchsten Grade vollkommen ist, daß der Mensch auch andere angemessen zu leiten vermag. Also ist die Macht das höchste Gut. III. Das Gegenteil der Seligkeit wird am meisten geflohen. Am meisten aber fliehen die Menschen die Knechtschaft, d. h. das Gegenteil der Macht. Auf der anderen Seite ist die Macht ein höchst unvollkommenes Gut. Denn „die menschliche Macht kann“, wie Boëtius (3. de Cons.) schreibt, „die Pein der Kümmernisse nicht vertreiben, die Dornen der Beängstigungen nicht vermeiden… Als mächtig siehst du an jenen, der einer Wache an seiner Seite bedarf; der da jene, die er schreckt, noch mehr selber fürchtet.“ Also ist Macht nicht des Menschen Seligkeit.
b) Ich antworte, unmöglich könne des Menschen Seligkeit in der Macht bestehen. Denn die Macht, also das Können, hat den Charakter des Princips, des Anfangs; die Seligkeit aber den Charakter des Zweckes, desEndes. Dann steht von der Macht selber aus dem nichts entgegen, daß sie zum Guten oder zum Bösen dienen kann; die Seligkeit aber ist wesentlich das vollendete Gut. Vielmehr also könnte eine gewisse Seligkeit bestehen im guten Gebrauche der Macht; welchen Gebrauch nur die Tugend giebt. Fassen wir nun diese für den Menschen äußeren Güter zusammen, so können vier Gründe geltend gemacht werden dafür, daß in keinem derselben die Seligkeit sein kann: 1. Alle diese Güter finden sich in Guten und Schlechten; die Seligkeit aber kann gar kein Übel in Verbindung mit ihr zulassen. 2. Möge auch ein beliebiges der genannten Güter oder alle zusammen der Mensch besitzen, so können ihm trotzdem noch viele andere fehlen, die ihm notwendig sind, wie z. B. Gesundheit, Weisheit. Besitzt aber der Mensch die Seligkeit, so darf ihm keines der ihm irgendwie notwendigen Güter fehlen. 3. Aus diesen genannten Gütern fließt manchmal Übles, wie Ekkle. 5. es heißt: „Die Reichtümer werden manchmal aufbewahrt zum Schaden ihres Herrn.“ Die Seligkeit ist nur und in höchst vollendeter Weise Gut. Also kann aus ihr nichts Übles kommen. 4. Zur Seligkeit ist der Mensch hingeordnet kraft der ihm innerlichen Principien; da er von Natur zur Seligkeit Beziehung hat. Die erwähnten vier Güter aber sind von äußerlichen Ursachen und meistens vom Zufall abhängt, weshalb sie auch „Zufalls“-, „Glücks“- Güter genannt werden.
c) I. Die göttliche Macht ist ihre eigene Güte. Also kann sie der Macht sich nicht bedienen außer gut. Also ist es nicht genügend, Gott ähnlich zu werden in der Macht, wenn man nicht Ihm ähnlich wird in der Güte. II. Zum Besten gereicht es, wenn jemand sich seiner Macht über viele gut bedient; zum höchsten Verderben aber, wenn er sie schlecht gebraucht. Also die Macht verhält sich gleichmäßig zum Guten und zum Übel. III. Die Knechtschaft ist ein Hindernis für den guten Gebrauch der Macht; und deshalb fliehen sie die Menschen von Natur, nicht als ob in der Macht des Menschen sei das höchste Gut.
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