Fünfter Artikel. Der Zwang ist Ursache davon, daß etwas unfreiwillig ist.
a) Dem steht entgegen: I. Freiwillige und unfreiwillige Akte heißen so, weil sie vom Willen ausgehen und auf Grund des Willens. Der Zwang aber kann, wie eben gezeigt, den Willen nicht beeinflussen, ihm keine Gewalt anthun. Also verursacht er nichts Unfreiwilliges. II. Was unfreiwillig ist, das ist zugleich mit Trauer verbunden; wie Damascenus sagt. (2. orth. fide 21.) Manchmal aber leidet jemand Gewalt und wird infolgedessen durchaus nicht traurig. Also ist Gewalt nicht Ursache des Unfreiwilligen. III. Was vom Willen herrührt, das kann nicht unfreiwillig sein. Manches Gewaltsame aber rührt vom Willen her, wie wenn jemand zugleich mit einem schweren Körper in die Höhe steigt und wenn er seine Glieder gegen deren natürliche Neigung biegt. Auf der anderen Seite schreibt Damascenus (l. c.): „Unfreiwillig, ist etwas, sobald und inwieweit Gewalt angethan wird.“
b) Ich antworte, der Zwang sei durchaus entgegengesetzt dem Freiwilligen, wie auch dem Natürlichen. Denn dem Natürlichen und dem Freiwilligen ist dies gemeinsam, daß beides von einem innerlichen Princip herrührt; während das Gewaltsame von einem dem Dinge äußerlichen Princip sich ableitet. Wie also in den der Kenntnis baren Dingen der Zwang bewirkt, daß etwas gegen die betreffende Natur geschieht, so bewirkt er in den erkennenden Wesen, daß etwas gegen den Willen sich richtet. Was aber gegen die Natur sich richtet, nennt man „unnatürlich“; und was gegen den Willen ist, „unfreiwillig“. Also verursacht der Zwang Unfreiwilliges.
c) I. Unfreiwillig ist entgegengesetzt dem Freiwilligen. Nun wird als freiwillig auch die Thätigkeit bezeichnet, welche vom Willen befohlen wird; und nicht nur das Wollen, also die Thätigkeit des Willens selber. Wenn somit auch der letzteren keine Gewalt angethan werden kann, so kann doch der Zwang sich erstrecken auf die vom Willen befohlenen Akte anderer Vermögen und nach dieser Seite hin verursacht der Zwang Unfreiwilliges. II. Wie als „natürlich“ bezeichnet wird, was der Neigung der Natur entspricht; so als „freiwillig“, was der Neigung des Willens gemäß ist. Nun heißt etwas „natürlich“ in doppelter Weise: einmal weil es von der betreffenden Natur als dem thätigen Princip herrührt, wie es dem Feuer „natürlich“ ist, zu wärmen;— dann heißt etwas „natürlich“ mit Rücksicht auf das passive oder bestimmbare, leidende Princip, weil nämlich etwas von Natur dazu hinneigt, von einem außen bestehenden Princip eine Einwirkung in sich aufzunehmen; wie z. B. die Bewegung der Himmelskörper als eine „natürliche“ bezeichnet wird, weil der Himmelskörper von Natur geeignet ist für eine solche Bewegung, obgleich die Kraft, welche in Bewegung setzt, eine mit freiem Willen bewegende ist. Und demgemäß kann etwas als freiwillig bezeichnet werden in zweifacher Weise: einmal gemäß dem Thätigsein, wie wenn z. B. jemand den Willen hat, etwas zu wirken; dann gemäß dem Bestimmbarsein, wie wenn nämlich jemand etwas von einem anderen leiden will. Da also die Einwirkung von einem außen befindlichenWesen ausgeht, während in dem, welcher unter dieser Einwirkung leiden will, der Wille dazu bleibt, so besteht hier nichts, was allseitig und durchaus gewaltsam wäre. Denn jener, der leidet, trägt allerdings nichts bei dadurch daß er wirkt, er trägt aber wohl dazu bei dadurch daß er leiden will; dies kommt also von einem innerlichen Princip und ist sonach nicht unfreiwillig. III. Die Bewegung des sinnbegabten Wesens, welche manchmal gegen die natürliche Neigung des Körpers sich vollzieht, ist wohl dem Körper als solchem nicht natürlich; jedoch ist sie dem sinnbegabten Körper natürlich, denn es ist dessen Natur entsprechend, daß er gemäß dem Begehren in Bewegung ist. Dies ist also nichts Gewaltsames, wenn ein solcher sinnbegabter Körper in Betracht gezogen wird. Ebenso ist die Biegung eines Gliedes manchmal gegen die natürliche Lage des einzelnen Gliedes; sie ist aber natürlich mit Rücksicht auf den Menschen selber.
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