Vierter Artikel. Dem eigentlichen Willensakte kann keine Gewalt angethan werden.
a) Das Gegenteil scheint hervorzugehen aus folgenden Gründen: I. Jegliches Wesen kann von einem mächtigeren gezwungen werden. Also kann Gott dem Willen Gewalt anthun. II. Alles, was leidet und bestimmbar ist, steht unter der Gewalt der einwirkenden und bestimmenden Kraft, wird also von dieser gezwungen. Der Wille aber ist ein bestimmbares, leidendes Vermögen; denn er wird in Thätigkeit gesetzt vom begehrenswerten Gute. Also ist er der Gewalt unterworfen. III. Die durch Zwang verursachte Thätigkeit ist gegen die Natur. Die Willensbewegung zur Sünde hin aber ist gegen die Natur. (Nach Damascenus 4. orth. fide 21.) Also unterliegt sie dem Zwange. Auf der anderen Seite sagt Augustin (5. de Civ. Dei cap. 10.): „Wenn etwas aus freiem Willen geschieht, so geschieht es nicht mit Notwendigkeit.“ Alles Erzwungene aber geschieht mit Notwendigkeit. Was also vom Willen ausgeht, ist nichts Erzwungenes.
b) Ich antworte; es giebt einen Willensakt, der unmittelbar vom Willen ausgeht und nur diesen zum Träger hat; nämlich das Wollen selber. Einen anderen Willensakt giebt es, welcher vom Willen zwar befohlen, jedoch vermittelst eines anderen Vermögens vollzogen oder ausgeführt wird; wie z. B. das Sprechen, das Gehen u. dgl., was der Wille zwar befiehlt, die Bewegungskraft aber ausführt. Betreffs dieser letztgenannten Thätigkeiten kann der Wille Gewalt leiden; denn die äußeren Glieder können gewaltsam gehindert werden, dem Willen zu folgen. Dem Akte des Wollens selbst aber kann keine Gewalt angethan werden. Denn freiwillig ist ein Akt dadurch eben, daß er eine Hinneigung ist, welche von einem innerlichen, erkennenden Princip ausgeht; wie ja auch das rein natürliche Begehren eine Hinneigung von innen heraus ist, nur daß da keine Kenntnis damit verbunden erscheint. Das Erzwungene aber kommt von einem für den Thätigseienden äußerlichen Princip. Wie es also gegen das Wesen der inneren natürlichen Hinneigung z. B. des Steines ist, daß er nach oben hin in Bewegung sich findet; so erscheint es gegen das Wesen des Willensaktes selber, daß er von außen her sein Princip habe, also erzwungen sei. Der Stein kann wohl mit Gewalt in die Höhe emporgetragen werden; aber nimmer kann es sein, daß dies kraft der in ihm selber befindlichen Hinneigung geschieht. Ebenso kann der Mensch wohl der Gewalt unterliegen; jedoch kann es nicht sein, daß dies von seinem Willen, also von seinem Innersten ausgehe, da das Wesen des Gewaltsamen darin besteht, daß es von einem äußerlichen Princip herrührt.
c) I. Gott als der Mächtigere kann den menschlichen Willen wohl bewegen oder in Thätigkeit setzen nach Prov. 21.: „Das Herz des Königs ist in Gottes Hand; wohin Er will, wird Er es hinneigen.“ Geschähe dies aber mittelst Zwanges, so würde eben nicht von einer Thätigkeit des Willens die Rede sein können; und nicht würde der Wille bewegt, sondern etwas gegen den Willen. II. Jene Bewegung nur ist eine gewaltsame, die dadurch entsteht, daß das Bestimmbare oder Bewegliche gegen seine innere Neigung von der bestimmenden Kraft in Bewegung gesetzt wird. Es würden ja sonst alle Veränderungen an den einfachen Körpern und ihre Erzeugung unnatürlich und gewaltsam sein. Dieselben aber sind natürlich, weil der Stoff oder das betreffende Subjekt von seiner inneren Natur aus für eine solche Veränderung oder Erzeugung passend und geeignet ist. So also ähnlich ist die Willensbewegung nicht gewaltsam, sondern freiwillig, wenn der Wille vom Begehrenswerten in Thätigkeit gesetzt wird gemäß der eigenen Hinneigung. III. Wohin der Mensch in der Sünde strebt, das ist wohl dem thatsächlichen Bestande nach ein Übel und ist gegen die vernünftige Natur; es wird jedoch als ein Gut und als der Natur entsprechend aufgefaßt, insoweit es dem Menschen auf Grund sinnlichen Ergötzens gefällt oder auf Grund einer schlechten Gewohnheit.
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