Vierter Artikel. Die Güte des Willens hängt vom ewigen Gesetze ab.
a) Dagegen läßt sich geltend machen: I. Die Regel und Richtschnur des menschlichen Willens, wovon seine Güte abhängt, ist die auf dem rechten Wege befindliche Vernunft. Da aber für ein und dasselbe Wesen es nur eine Richtschnur und Regel geben kann, so ist dies nicht das ewige Gesetz, sondern eben die Vernunft. II. „Das Maß ist immer gleichartig dem Gemessenen,“ sagt Aristoteles.(10 Metaph.) Das ewige Gesetz aber ist nicht innerhalb der nämlichen Seinsart, also nicht gleichartig mit dem menschlichen Willen. III. Das Maß oder die Richtschnur muß gewiß und durchaus zuverlässig sein. Das ewige Gesetz aber ist uns unbekannt. Auf der anderen Seite sagt Augustin (22. contra Faustum 27.): „Die Sünde ist etwas, was gesprochen, gethan oder begehrt wird gegen das ewige Gesetz.“ Die Bosheit des Willens aber ist die Wurzel der Sünde. Da also die Bosheit im Gegensatze steht zur Güte, hängt die Güte des Willens vom ewigen Gesetze ab.
b) Ich antworte; in allen zu einander in Beziehung stehenden und voneinander abhängigen Ursachen hängt die Wirkung mehr ab von der ersten wie von den untergeordneten Ursachen, da ja die untergeordnete Ursache nur kraft der ersten thätig ist. Daß aber die Vernunft des Menschen die Regel und Richtschnur des menschlichen Willens sei, von der aus dessen (des Willens) Güte bemessen wird, dies rührt vom ewigen Gesetze her, das nichts Anderes als die ewige Vernunft ist; weshalb Psalm 4 gelesen wird: „Viele sagen: Wer wird uns die (wahren) Güter zeigen? Gesiegelt ist auf uns das Licht Deines Antlitzes, o Herr;“ gleich als ob der Psalmist sagen wollte: Das Licht der Vernunft, das in uns ist, kann insoweit uns die wahren Güter zeigen und unseren Willen regeln als es das Licht Deines Antlitzes ist, d. h. als es von Dir her sich ableitet. Bei weitem mehr also wie von der eigenen menschlichen Vernunft hängt die Güte des menschlichen Willens ab vom ewigen Gesetze.
c) I. Für ein und dasselbe Wesen giebt es eine Mehrheit in derRichtschnur und Regel, insoweit die eine Richtschnur der anderen untergeordnet ist. II. Die nächste unmittelbare Regel ist gleicher Art dem Sein nach mit dem Geregelten; nicht aber die entfernte. III. Das ewige Gesetz ist uns zwar unbekannt, insoweit es im göttlichen Geiste ist; es wird uns aber in etwa bekannt vermittelst der natürlichen Vernunft, welche von diesem Gesetze sich ableitet wie sein Bild oder vermittelst eigens hinzugefügter Offenbarung.
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