2.
Dieses Gebet ist schon etwas Übernatürliches, das wir uns durch alle Anstrengungen nicht selbst erwerben können; denn hier versetzt sich die Seele, da alle ihre Kräfte zur Ruhe gelangen, in Frieden, oder, besser gesagt, der Herr versetzt sie durch seine Gegenwart in diesen Frieden wie einst den gerechten Simeon. Auf eine von der Wahrnehmung durch die äußeren Sinne ganz verschiedene Weise erkennt die Seele, daß sie schon in der Nähe ihres Gottes ist, so daß ihr nur mehr wenig fehlt, um durch die Vereinigung eins mit ihm zu werden. Sie sieht dies weder mit den Augen des Leibes noch mit den Augen der Seele. Auch der gerechte Simeon sah nichts als das glorwürdige arme Kindlein, das er bezüglich der Windeln, in die es eingehüllt war, und der wenigen Personen, die es bei jener Prozession begleiteten, eher für das Kind armer Leute als für den Sohn des himmlischen Vaters hätte halten können. Aber wie das Kindlein selbst sich ihm zu erkennen gab, so erkennt auch hier die Seele ihren Gott, obgleich nicht mit derselben Klarheit, weil sie selbst nicht begreift, wie sie ihn erkennt; sie sieht nur, daß sie in seinem Reiche oder wenigstens in der Nähe des Königs ist, der es ihr geben wird und vor dem sie eine solche Ehrfurcht zu haben scheint, daß sie ihn nicht einmal um etwas zu bitten wagt. Es ist gleichsam eine innere und äußere Ohnmacht, in der man sich hier befindet, so daß auch der äußere Mensch — oder damit ihr mich besser versteht, sage ich der Leib — sich nicht bewegen möchte. Die Seele gleicht hier einem Wanderer, der, schon fast am Ziele seines Weges angelangt, ausruht, damit er um so leichter wieder fortwandere; denn so gewinnt er wieder neue Kräfte dazu.
