5.
An diesen Dingen, die ganz fremdartig und überflüssig sind und keinem zu eigen werden können, mit verschlossenen Augen vorüberzugehen, ist recht und gut; aber ebenso ziemt es sich, auf die Güter, die wirklich unser sind, volle Sorgfalt zu verwenden. Was ist aber „wirklich unser“? Die Seele, durch die wir leben, die zart und verständig ist und nichts von dem benötigt, was belästigt, und der Leib, der ihr vom Schöpfer als ihr Träger in diesem Leben gegeben ist. Denn das ist der Mensch: Geist, vereinigt mit einem zuträglichen und entsprechenden Fleische. Dies Wesen wird vom allweisen Schöpfer des Weltalls im Mutterschoße gestaltet; die Stunde der Geburt bringt es aus jenen dunklen Gemächern ans Licht. Dies Wesen ist bestellt, zu herrschen auf der Erde; ihm ist die Schöpfung zur Übungsschule der Tugend hergerichtet; ihm obliegt das Gesetz, nach Kräften den Schöpfer nachzuahmen und von der Ordnung im Himmel einen Schattenriß auf Erden zu geben. Dieses Wesen scheidet, von hinnen abgerufen, und wird vor den Richterstuhl Gottes gestellt, der es gesandt hat, wird gerichtet und empfängt den Lohn für das, was es hienieden getan hat.
Auch die Tugenden wird man als unser Eigentum erkennen, wenn sie mit unserem Wesen sich innig verbinden. Auch wollen sie uns in unseren Trübsalen auf Erden nicht verlassen, wenn wir sie nicht freiwillig mit Gewalt vertreiben durch Aneignung schlechter Eigenschaften. Den ins Jenseits Eilenden gehen sie voraus S. 350 und stellen ihren Besitzer unter die Engel, um ewiglich zu glänzen vor den Augen des Schöpfers. Reichtum aber, Macht, Ansehen, Schwelgerei und der ganze Schwarm solcher Dinge, der täglich durch unsere Torheit vergrößert wird, ist weder mit uns ins Leben eingetreten noch je mit einem von hinnen gegangen. Vielmehr gilt und bestätigt sich bei jedem Menschen, was einst der Gerechte gesagt hat: „Nackt bin ich aus dem Leibe meiner Mutter gekommen und nackt werde ich dahin zurückkehren1.“
Job 1, 21. ↩
