4.
Was wirst du dem Richter antworten, wenn du die Wände kleidest, einen Menschen aber nicht kleidest, der du die Pferde schmückst, den in Lumpen gehüllten Bruder aber nicht ansiehst, der du das Getreide verfaulen lässest und den Hungrigen nicht nährest, der du das Gold vergräbst, den Notleidenden aber nicht berücksichtigst? Hast du dann noch eine prunkliebende Gattin, so wird die Krankheit doppelt. Denn sie steigert das Wohlleben, erhöht die Vergnügungssucht, weckt eitle S. 247 Begierden, sinnt auf kostbare Steine, auf Perlen, Smaragde und Hyazinthe, läßt Gold teils vom Goldschmiede bearbeiten, teils in Stoffe weben und verschlimmert so durch allerhand Geschmacklosigkeiten die Krankheit. Auch geht die Sorge darob nicht nur so nebenher, sondern hält die Gequälten Tag und Nacht im Banne. Und tausend Schmeichler nähren ihre Gelüste, lassen Schönfärber, Goldarbeiter, Salbenkünstler, Weber und Stricker kommen. Diese Frau läßt den Mann keinen Augenblick frei aufatmen, sondern plagt ihn in einem fort mit ihren Befehlen. Kein Reichtum reicht hin, den Wünschen der Frauen zu genügen, auch wenn er in Strömen flösse. Sie verlangen ausländische Salben, als wären sie (zu haben wie) Öl auf dem Markte, Meerblumen, Purpur, Seide mehr als Schafwolle. Kostbare Steine in Goldfassung dienen ihnen als Kopf- und Halsschmuck; Gold schmückt ihre Gürtel, Gold fesselt ihre Hände und Füße. Frauen, die das Gold lieben, lassen sich ja gerne Handfesseln anlegen; nur muß Gold sein, was sie bindet. Wann wird nun der für seine Seele sorgen, der solchen Frauenwünschen zu Willen ist? Wie Stürme und Wogen morsche Schiffe versenken, so ziehen die schlimmen Neigungen von Frauen die schwachen Seelen ihrer Gatten in den Abgrund. Wenn nun Mann und Frau im Ersinnen von Luxusdingen miteinander wetteifern und so den Reichtum zersplittern, so hat er natürlich keine Möglichkeit, mit den Draußenstehenden1 sich abzugeben. Hörst du aber: „Verkaufe, was du hast, und gib es den Armen“, auf daß du eine Wegzehrung habest für die Reise in die Ewigkeit, dann gehst du traurig von dannen. Hörst du dagegen: Gib es luxuriösen Frauen, gib es Steinmetzen, Zimmerleuten, Musivarbeitern, Malern, dann freust du dich im Glauben, Kostbareres zu bekommen, als dein Gold ist. Siehst du nicht unsere, mit der Länge der Zeit verfallenen Mauern, deren Überreste wie Klippen überall in der Stadt emporragen2? Wieviele Arme gab es in der Stadt, als sie aufgeführt wurden! Aber die damaligen Reichen S. 248 achteten ihrer nicht vor lauter Sorgen um die Mauern. Wo ist nun jener herrliche Bau, wo der, den man um den Prachtbau beneidete? Sind jene Bauten nicht ebenso zerfallen und verschwunden wie die, welche Kinder beim Spiele im Sande bauten? Und liegt nicht der Erbauer in der Hölle voll Reue über den Eifer, mit dem er sich auf so eitle Dinge verlegte? Habe eine große Seele! Kleine Mauern leisten denselben Dienst wie größere! Wenn ich in das Haus eines luxusliebenden Emporkömmlings3 komme und es mit allerlei Schmuck geziert sehe, so weiß ich, daß ihm die sichtbaren Dinge über alles gehen, ja daß er das Unbeseelte schmückt, die Seele aber ohne Schmuck läßt. Dann sag’ mir, wozu die silbernen Bettstellen, die silbernen Tische, elfenbeinernen Sänften und Sessel, derentwegen der Reichtum den Armen nicht zugute kommen kann, die zu Tausenden vor der Türe stehen und alle Jammertöne hören lassen? Du aber versagst die Gabe mit der Ausrede, es sei dir unmöglich, ihrer Bitte zu willfahren. Du beschwörst mit der Zunge, was deine Hand Lügen straft mit dem funkelnden Diamantringe am Finger. Wieviele könnte dieser eine Ring von den Schulden befreien! Wieviele baufällige Häuser könnte er aufrichten! Ein einziger deiner Kleiderkästen könnte ein ganzes frierendes Volk kleiden, und dennoch bringst du es über dich, den Armen hilflos zu entlassen, ohne die gerechte Vergeltung des Richters zu fürchten! Du hast dich nicht erbarmt; du wirst auch kein Erbarmen finden. Du hast dein Haus nicht geöffnet; du wirst im Himmel nicht Einlaß finden. Du hast kein Brot gegeben; du wirst auch das ewige Leben nicht erlangen.
