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Was betrügst du dich nun selber, wenn du jetzt den Reichtum gewissenlos in sinnlichem Genusse vergeudest und für die Zukunft Dinge versprichst, die nicht S. 256 in deiner Macht stehen werden? Verhängnisvoll ist, wie aus dem Gesagten erhellt, dein Vorsatz: „Solange ich lebe, will ich dem Vergnügen leben; bin ich aber tot, dann will ich die Gebote erfüllen.“ Auch zu dir wird Abraham sagen: „Du hast dein Gutes in deinem Leben empfangen1.“ Der schmale und enge Weg kann dich nicht aufnehmen, wenn du die Last des Reichtums nicht ablegst. Mit seiner Last bist du aus dem Leben geschieden; du hast sie nicht abgeworfen, wie dir geboten war. Solange du lebtest, hast du dich selbst dem Gebote vorgezogen, nach dem Tode und der Auflösung zogst du das Gebot deinen Feinden vor2. Denn nur damit es dieser oder jener nicht bekomme, sagst du, soll es der Herr empfangen. Wie sollen wir das nennen: Rache an den Feinden oder Liebe zum Nächsten? Lies dein Testament! „Ich wünschte zwar noch zu leben und meine Güter zu genießen.“ Dank gebührt also dem Tode, nicht dir. Wärest du unsterblich, so würdest du ja an die Gebote gar nicht denken. „Täuscht euch nicht! Gott läßt seiner nicht spotten3.“ Totes führt man nicht zum Altare; bring’ ein lebendiges Opfer! Wer nur vom Überflusse opfert, ist nicht willkommen. Du aber bringst dem Wohltäter das, was dir nach dem ganzen Leben übrig geblieben ist. Wenn du es nicht wagst, vornehme Gäste mit den Überresten des Mahles zu bewirten, wie magst du es dann wagen, Gott mit deinem Restvermögen zu versöhnen?
Seht, ihr Reichen, das ist das Ende der Habsucht! Hört also auf, leidenschaftlich nach Gold zu jagen! Je mehr du den Reichtum liebst, desto mehr sollst du darauf aus sein, nichts von dem, was du hast, zu hinterlassen. Mach’ alles dir zu eigen, nimm alles mit, hinterlaß nicht fremder Hand deinen Reichtum! Vielleicht werden deine Diener dich nicht einmal mit dem Leichenschmuck zieren, dir ein feierliches Begräbnis versagen, um sich so jetzt den Erben gefällig zu erweisen. Oder vielleicht werden sie gar auf S. 257 deine Kosten philosophieren und sich sagen: „Es ist ungereimt, einen Toten zu schmücken, und den mit vielen Kosten zu bestatten, der doch nichts mehr empfindet. Ist es denn nicht besser, daß sich die Überlebenden mit schönen und kostbaren Gewändern schmücken, als daß ein teurer Anzug mit der Leiche verfault? Wozu ein prächtiges Grabmal, wozu eine kostspielige Leichenfeier und nutzloser Pomp? Die Überlebenden sollen das Geld für die Bedürfnisse des Lebens verwenden.“ So werden sie reden, einerseits um sich an deiner Hartherzigkeit zu rächen, anderseits um sich den Erben gefällig zu zeigen. Begrabe dich also vorher! Ein schönes Sterbekleid ist die Gottseligkeit. Scheide mit allem bekleidet von hinnen; mache den Reichtum zu einem dir verbleibenden Schmucke; behalte ihn bei dir! Glaube Christo, dem wohlmeinenden Ratgeber, der dich liebt, der unsertwegen arm geworden ist, damit wir durch seine Armut reich würden4, der sich selbst zum Lösegeld für uns dahingegeben hat5.
So wollen wir dem weisen Ratgeber folgen, der einsieht, was uns frommt, oder ihn als unsern Freund aufnehmen oder ihm als unserm Wohltäter vergelten. Jedenfalls wollen wir das tun, was er uns geboten hat, damit wir Erben werden des ewigen Lebens, das in Christus ist, dem die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen.
