25.
1. Darum geben die meisten den Rat, man solle sich während des Trinkens nur erholen und ernste Dinge auf den nächsten Morgen verschieben; 1 ich aber halte es für richtig, daß man dann am meisten die Vernunft als Teilnehmerin am Mahle mitnimmt, damit sie die Trunksucht in Zucht halte, auf daß nicht unvermerkt das Gastmahl in Trunkenheit ausarte.
2, Denn wie kein Vernünftiger es für richtig hält, die Augen zu schließen, bevor er zum Schlafen geht, so dürfte auch niemand mit Recht wünschen, daß die Vernunft vom Gastmahl fern bleibe, noch dürfte er gut daran tun, sie einzuschläfern, bevor man mit Handeln aufhört. Aber die S. a35 Vernunft wird ihre Obliegenheiten überhaupt nie im Stiche lassen können, nicht einmal wenn wir schlafen; denn auch zum Schlafe müssen wir sie herbeirufen.
3. Denn da die Weisheit die vollkommene Kenntnis göttlicher und menschlicher Dinge 2 ist, die alles in sich schließt, so wird sie, insofern sie die Menschenherde beaufsichtigt, 3 eine Kunst für das Leben 4 und ist deshalb immer bei uns, so lange wir leben, und führt immer ihre Aufgabe durch, uns zum richtigen Leben zu erziehen.
4. Die Unglücklichen aber, die die Sittsamkeit vom Gastmahl verbannen wollen, halten für ein glücklich zu preisendes Leben die Zuchtlosigkeit bei den Trinkgelagen; ihr Leben ist aber nichts anderes als Festgelage, Rausch, Bäder, Wein, Nachtgeschirr, Faulheit, Trinken. 5
Plut. Pelop. 10 (vgl. auch Moral, p. 619 D) erzählt von Archias, einem Haupt der Oligarchen in Theben, als ihm bei einem Trinkgelage ein Brief mit der Weisung übergeben wurde, er solle ihn sofort lesen, es stehe Wichtiges darin, habe er gesagt: „Also das Wichtige auf morgen!“ Der Brief enthielt aber die Nachricht von der Verschwörung des Pelopidas, der Archias dann zum Opfer fiel. Seine Äußerung εἰς ἕω τὰ σπουδαῖα aber wurde bei den Griechen sprichwörtlich. ↩
Zu der stoischen Definition des Begriffes Weisheit vgl.Strom. I 30,1; 35,3; 177,1; IV 40,3; 163,4; VI 54,1; 133,5;160,2; VII 70,5; Chrys. Fr. log. 35. 36. 1017 (Stoic. vet. fr. II304, 26); Plut. Moral, p. 874 E; Origenes, Geg. els. III 72; Jeremia, hom. VIII 2; Philon, De congr. erud. gr.79; Cic.De off. 1153; De fin. II 37; Tusc. disp. IV 57; V 7; Galen, Hist. phil. 5. ↩
Vgl. Strom. I 156, 3 (aus Philon, De vita Mos. 160); 169,1; Platon, Politikos p. 266 C; 268 C; 274 E; 295 E. ↩
Der Ausdruck τέχνη περὶ βίον ist stoisch; vgl. Chrys. Fr. mor. 516 (Stoic. vet. fr. III 139, 17); Cic. De fin. III 4.24; Tusc. disp. II 12; andere Stellen bei Wendland, Quaest. Muson.p. 12. ↩
Vgl. CAF III p. 479 Adesp. 375. ↩
