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[Forts. v. S. 101 ] Frage: „Wie kann man „arm im Geiste“1 sein, besonders wenn man in sich merkt, daß man sich geändert, Fortschritte gemacht hat und zu einer Erkenntnis und Einsicht gekommen ist, die man vorher nicht hatte?
Antwort: Solange ein Mensch solche Erwerbungen und Fortschritte merkt, ist er nicht arm im Geiste, sondern hat von sich eine hohe Meinung. Ist er jedoch zu solcher Einsicht und solchem Fortschritt gelangt, so lehrt ihn, falls er ein wahrhaft Gerechter und „Auserwählter Gottes“2 ist, die Gnade von selbst, arm im Geiste zu sein, sich für nichts zu halten und sein Leben für wertlos und für nichts zu achten, gleich als wüßte und hätte er nichts, obwohl er etwas weiß und hat. Dies muß für den Menschengeist gleichsam zur zweiten Natur werden. Siehst du nicht, wie unser Erzvater Abraham, dieser Auserwählte, sich Staub und Asche nannte3? David, der zum König gesalbt worden, hatte Gott bei sich4. Und was sagt er: „Ich bin ein Wurm und kein Mensch, der Spott der Menschen und die Verachtung des Volkes“5?
