6.
Es muß [das Opfertier] zuerst vom Priester geschlachtet und getötet, dann zerteilt und gesalzen, und so hernach aufs Feuer gelegt werden. Denn bevor der Priester das Schaf nicht schlachtet und tötet, wird es nicht gesalzen noch als Brandopfer dem Herrn dargebracht. So muß auch unsere Seele, wenn sie sich dem wahren Hohenpriester Christus naht, von ihm geschlachtet S. 6 werden, der Hoffart und dem so schlimmen Leben, das sie führte, d. i, „der Sünde absterben“1 und wie ein Leben2 muß aus ihr die Bosheit der Leidenschaft ausziehen. Denn wie der Leib, aus dem die Seele scheidet, stirbt und nicht mehr das Leben lebt, das er führte, weder hört noch wandelt, so stirbt die Seele, wenn der himmlische Hohepriester Christus durch seine Gnadenkraft das Leben für die Welt schlachtet und tötet, dem Leben der Bosheit, das sie führte, sie hört nicht mehr, sie redet nimmer, sie wandelt nicht mehr in der Finsternis der Sünde. Denn durch die Gnade ziehen die boshaften Begierden gleichsam als ihre Seele3 [von ihr] aus. Der Apostel ruft aus: „Mir ist die Welt gekreuzigt und ich der Welt“4. Denn eine Seele, die noch in der Welt und der Finsternis der Sünde lebt, die von ihm (= Christus) nicht getötet wurde, sondern noch die Seele der Bosheit d. h. die Wirksamkeit der finsteren, sündigen Begierden in sich trägt und von ihr genährt wird, gehört nicht zum Leibe Christi, gehört nicht zum Leibe des Lichtes; sie ist vielmehr ein Leib der Finsternis und gehört noch der Finsternis an, wie umgekehrt die, welche die Seele des Lichtes d. i. die Kraft des Heiligen Geistes haben, dem Lichte angehören.
Vgl. Röm. 6, 2. ↩
Nach „Mak.“ hat also die Sünde gleichsam ein eigenes Leben. Wie Stiglmayr (Sachliches und Sprachliches b. Mak. S. 63) bemerkt, redet bereits Origenes (In ep. ad Rom. 7, 12 Migne P. G. XIV 1134 B) von einem „Leben der Sünde (vita peccati), das uns von der Liebe Gottes scheiden will“. (Vgl. Röm. 8, 35. 39). ↩
„Mak.“ nennt hier die Sünde „die Seele der Seele“. Diese Wendung ψυχῆ τῆς ψυχῆς [psychē tēs psychēs] taucht nach Stiglmayr (a. a. O. S. 361) wohl zuerst bei Philo auf (De opif. mundi 21 ed. Cohn I p. 22). Siehe auch Stiglmayr a. a. O. S. 631. ↩
Gal. 6, 14. ↩
