XXI. Kapitel: Von einer jungen Klosterfrau, auf deren bloßen Befehl ein Mann vom bösen Feinde befreit wurde
Was ich jetzt erzähle, das bezeugte mir ein heiliger Mann, der greise Abt Eleutherius, den ich früher1 erwähnt habe; er hat mir nämlich folgendes mitteilen lassen. In der Stadt Spoleto hatte ein schon heiratsfähiges Mädchen, die Tochter eines Vornehmen, ein S. 149 heftiges Verlangen nach dem himmlischen Leben, während ihr Vater ihr auf diesem Wege Hindernisse entgegensetzen wollte; sie aber nahm auf den Vater keine Rücksicht, sondern nahm das Ordensgewand. Die Folge davon war, daß sie der Vater enterbte und ihr nichts als sechs Zwölftel2 von einer kleinen Besitzung vermachte. Durch ihr Beispiel angeeifert, nahmen aber noch viele Mädchen aus vornehmem Geschlechte bei ihr das Ordenskleid, weihten dem allmächtigen Gott ihre Jungfräulichkeit und dienten ihm. Eines Tages nun war eben der Abt Eleutherius, ein Mann von verehrungswürdigem Lebenswandel, der Ermahnung und Erbauung wegen zu ihr gekommen, saß bei ihr und war in der Unterredung über das Wort Gottes begriffen, da kam auf einmal ein Landmann von ihrem Gütlein, das sie zu sechs Zwölftel vom Vater erhalten hatte, herein und brachte ihr eine Gabe. Während er vor ihnen stand, wurde er plötzlich vom bösen Geiste befallen, stürzte zu Boden und wurde von lautem Knirschen und Blöken ganz matt. Da erhob sich die Klosterfrau und befahl zürnenden Antlitzes mit lauter Stimme: „Weiche von ihm, Elender! Weiche von ihm, Elender!” Auf das antwortete der Teufel durch den Mund des Gequälten: „Und wenn ich von diesem ausfahre, in wen soll ich hineingehen?” Zufällig aber war in der Nähe ein junges Schwein auf der Weide. Da befahl ihm die Klosterfrau und sagte: „Fahre aus von ihm und gehe in das Schwein dort!” Und sogleich verließ er den Mann und fuhr, wie ihm befohlen war, in das Schwein, tötete es und entfloh.
Petrus. Nun möchte ich doch gerne wissen, ob sie schließlich auch nur ein Schwein dem unreinen Geiste überlassen durfte.
Gregorius. Regel für unsere Handlungsweise ist S. 150 uns das, was die ewige Wahrheit getan hat. Zu unserem Erlöser selbst nämlich sagte die Legion, welche einen Menschen besessen hielt: „Wenn du uns von da austreibst, so laß uns in die Herde Schweine fahren!”3 Er trieb sie aus dem Menschen aus und gestattete ihnen, in die Schweine zu fahren und sie in den Abgrund zu stürzen. Daraus ersieht man auch, daß der böse Feind ohne Zulassung des allmächtigen Gottes keine Macht über den Menschen hat, da er nur mit Erlaubnis in die Schweine fahren konnte. Wir müssen also dem uns freiwillig unterwerfen, dem alle feindlichen Dinge unfreiwillig Untertan sind, damit wir um so mehr unsere Feinde an Macht übertreffen, je mehr wir durch die Demut mit dem Schöpfer aller Dinge eins werden. Warum aber sollen wir uns wundern, wenn die Auserwählten, solange sie im Fleische weilen, viel Wunderbares tun, wenn schon ihre toten Gebeine häufig in vielen Wundern sich lebendig zeigen?