XXXII. Kapitel: Von den afrikanischen Bischöfen, denen wegen Verteidigung des katholischen Glaubens von arianischen Vandalen die Zunge abgeschnitten wurde, die aber dennoch keine Einbuße an ihrer Sprache erlitten
Gregorius. Als unter Kaiser Justinian1 die Vandalen in Afrika eine wütende arianische Verfolgung gegen den katholischen Glauben unternahmen, wurden einige Bischöfe,2 weil sie fest auf der Verteidigung der Wahrheit bestanden, öffentlich vor das Gericht gestellt. Als der Vandalenkönig sie weder durch Überredung noch durch Geschenke zur Annahme der Irrlehre bewegen konnte, glaubte er ihren Widerstand durch Martern brechen zu können. Da er ihnen bei der Verteidigung der Wahrheit zu schweigen gebot, sie aber der Irrlehre gegenüber nicht schweigen wollten, um nicht etwa durch das Stillschweigen den Schein der Zustimmung zu erwecken, geriet er in Wut und ließ ihnen die Zunge an der Wurzel herausschneiden. Da ereignete sich ein großes Wunder, das vielen von unseren älteren Leuten bekannt ist; denn jene Männer konnten nachher zur Verteidigung der Wahrheit ohne Zunge ebenso reden, wie sie es vorher mit der Zunge konnten.
Petrus. Das ist höchst wunderbar und überaus staunenswürdig! S. 167
Gregorius. Petrus! Vom Eingeborenen des höchsten Vaters steht geschrieben: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.”3 Und über seine Macht wird weiter gesagt: „Alles ist durch es gemacht worden.”4 Warum sollen wir uns also darüber wundern, daß das Wort, welches die Zunge gemacht hat, Worte ohne die Zunge hervorbringen lassen konnte?
Petrus. Ja, das ist richtig.
Gregorius. Diese kamen nun als Flüchtlinge nach Konstantinopel. Damals, als ich als Apokrisiar zum Kaiser gesandt wurde, traf ich dort einen alten Bischof, der bezeugte, er habe noch gesehen, wie ihr Mund ohne Zunge sprach, ja sie hätten den Mund geöffnet und gerufen: „Schauet her, wir haben keine Zunge und reden doch!” Wenn man hineinsah, so schien es, wie er erzählte, als ob sich im Halse an der Stelle, wo die Zunge mit der Wurzel ausgeschnitten war, eine große Vertiefung befände, und doch bildeten sich im leeren Munde die Worte ganz und vollständig. Einer von ihnen fiel dort in Unkeuschheit und ging alsbald der wunderbaren Gabe verlustig, - gewiß nach einem gerechten Gerichte des allmächtigen Gottes, daß der, der das Fleisch nicht in Enthaltsamkeit behüten wollte, ohne die leibliche Zunge auch nicht wunderbar reden sollte. Doch jetzt haben wir genug zur Verurteilung der arianischen Irrlehre vorgebracht und wir wollen jetzt zu den Wundern zurückkehren, die in letzter Zeit in Italien geschehen sind.
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Gregor erwähnt hier das Wunder von Tipasa, das von vielen zeitgenössischen Geschichtschreibern aufs sicherste beglaubigt wird. Es trug sich zu um das Jahr 484 unter dem Vandalenkönig Hunerich (477-484), als Leo II. und Zeno in Byzanz regierten. Die Zeitangabe „unter Justinian” (527-565) beruht auf einem Irrtum. ↩
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die Geschichtsschreiber sprechen von einigen „Christen“ ↩
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Joh 1,1 ↩
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Joh 1,2 ↩