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Faustus sagte: Warum bestreitet ihr so entschieden, dass der Mensch von Gott geschaffen wird? Nein, wir bestreiten überhaupt nicht generell, dass der Mensch von Gott geschaffen wird; wir wollen aber wissen, wer da geschaffen wird, und wann und wie das geschieht; wenn man dem Apostel folgt gibt es nämlich zwei Menschen, deren einen er bisweilen den Äusseren Menschen nennt (cf. II Kor. 4,16), meistens aber den Irdischen Menschen (cf. I Kor. 15,48), manchmal auch den Alten Menschen (cf. Röm. 6,6; Kol. 3,9; Eph. 4,22), den andern aber bezeichnet er als den Inneren (cf. II Kor. 4,16; Eph. 3,16) und Himmlischen (cf. I Kor. 15,48) und Neuen (cf. Eph. 4,24; Kol. 3,10) Menschen. Welcher der beiden von Gott geschaffen wird, wollen wir wissen, da es ja auch für unsere eigene Geburt zwei Zeitpunkte gibt: den einen, an dem wir, gefangen in den Fesseln des Fleisches, von der Natur ans Licht dieser Welt gebracht wurden, den zweiten, als die Wahrheit uns aus dem Irrtum bekehrte und uns, nachdem wir in den Glauben eingewiesen waren, auf sich hin neu schuf. Auf den Zeitpunkt dieser zweiten Geburt weist Jesus im Evangelium hin, indem er sagt (Joh. 3,3): Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht schauen. Als Nikodemus voller Unverständnis stutzte und nachfragte (cf. Joh. 2,4), wie dies denn geschehen könne – ein alter Mensch könne ja nicht in den Schoss seiner Mutter zurückkehren und ein zweites Mal geboren werden –, da antwortete ihm Jesus (Joh. 3,5): Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht schauen. Und er fährt fort (Joh. 3,6): Was aus dem Fleisch geboren wird, ist Fleisch; und was aus dem Geist geboren wird, ist Geist. Wenn es also nicht nur diese eine Geburt gibt, bei der wir im Leib geboren werden, sondern auch jene andere, bei der wir im Geist wiedergeboren werden, dann muss die Frage, in welcher von den beiden uns Gott denn erschafft, berechtigerweise das gleiche Interesse beanspruchen.
Auch die Bedingungen, unter denen das Geborenwerden stattfindet, sind zwiefach: die eine Art ist geprägt von wilder Leidenschaft und Unbeherrschtheit; dabei sind wir von unseren Erzeugern sittenlos und in zügelloser Gier ins Leben gesetzt worden; die andere Art aber ist geprägt von Würde und Reinheit; dabei sind wir in Christus Jesus durch den Heiligen Geist unter der Anleitung vorbildlicher Lehrer in den Glauben eingeführt worden; dies ist auch der Grund, warum jede Religion, und vor allem die christliche, die frisch Getauften Kinder nennt. Eben darauf sinnbildlich hinweisend sagte der Apostel (Gal. 4,19): Meine lieben Kinder, für die ich von neuem Geburtswehen erleide, bis Christus in euch Gestalt annimmt.
Daher lautet die Frage gar nicht mehr, ob Gott den Menschen erschafft, sondern wann, welchen Menschen und wie. Wenn uns Gott nämlich zu dem Zeitpunkt nach seinem Ebenbild formt in dem wir im Mutterschoss Gestalt bekommen – wie es etwa die Meinung der Heiden, der Juden und von euch Katholiken ist –, dann schafft er uns als den Alten Menschen, er erschafft uns mithilfe von wilder Leidenschaft und zügelloser Gier, was seiner göttlichen Natur wohl kaum angemessen ist; wenn wir dagegen von Gott zu dem Zeitpunkt geformt werden, in dem wir den Glauben annehmen und uns zu einer besseren Lebensweise bekehren, wie es etwa die Meinung Christi, seiner Apostel und von uns Manichäern ist, dann schafft uns Gott in der Tat als den Neuen Menschen, und er schafft uns auf eine Art, die würdig und rein ist. Was steht nun besser im Einklang mit seiner heiligen und verehrungswürdigen Majestät als dies, was entspricht ihr besser? Weil nun auch ihr die Autorität des Paulus hochschätzt, wollen wir anhand seiner Schriften euch zeigen, welchen Menschen Gott schafft, und wann und wie er das tut! Er sagt zu den Ephesern (Eph. 4,22 ff.): Legt den Alten Menschen mit seinem früheren Lebenswandel ab, der zugrunde geht an seinen trügerischen Begierden; erneuert euch aber durch ein geistbestimmtes Denken und zieht euch den Neuen Menschen an, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit!
Du siehst also, wann der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen wird, du siehst, dass hier der zweite Mensch vorgestellt wird und die andere Geburt und die andere Art des Geborenwerdens. Denn wenn er sagt: Legt ab und zieht an, bezeichnet er damit natürlich sinnbildlich den Zeitpunkt der Glaubensannahme; wenn er aber bezeugt, dass der Neue Mensch von Gott geschaffen wird, so zeigt er damit an, dass der Alte Mensch nicht von Gott selber stammt und nicht nach seinem Ebenbild geformt worden ist. Und wenn er dann weiter sagt, dass jener Neue Mensch in Heiligkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit geschaffen werde, so beschreibt und zeigt er damit jene zweite Art der Geburt, von der ich sagte, dass sie wesentlich verschieden sei von der ersten (cf. 718,8), die unseren Leib in der leidenschaftlichen Umarmung der Eltern zeugte, und für die der Apostel auch mit dem Nachweis, dass nur jene zweite Geburt von Gott kommt, zeigte, dass sie nicht von Gott kommt. Und das gleiche sagt er von neuem in seinem Brief an die Kolosser (Kol. 3,9 f.): Zieht aus den Alten Menschen mit seinen Taten und zieht an den Neuen Menschen, der durch die Erkenntnis Gottes erneuert wird nach dem Bild dessen, der diesen in euch geschaffen hat! Auch hier also zeigte der Apostel nicht nur, dass es der Neue Mensch ist, den Gott erschafft, sondern er belehrte uns auch, wann und auf welche Weise er ihn formt, nämlich mit der Erkenntnis Gottes, womit der Zeitpunkt der Glaubensannahme bezeichnet ist. Und er fügte noch bei: nach dem Bild dessen, der diesen geschaffen hat, um klarzumachen, dass der Alte Mensch weder Abbild Gottes ist noch von ihm geformt wurde. Und jener anschliessende Satz (Kol. 3,11): Wo es nicht mehr Mann und Frau, Jude und Grieche, Barbar und Skythe gibt, zeigt uns vollends immer deutlicher, dass Gottes Tätigkeit bei der Formung des Menschen nicht bei dieser Geburt wirksam wird, die uns zu Mann und Frau, zu Grieche und Jude, zu Skythe und Barbar machte, sondern bei jener anderen, die uns jeglicher Unterscheidungsmerkmale inbezug auf Herkunft, Geschlecht und Stand entkleidet, und uns zur Einheit macht nach dem Vorbild dessen, welcher der eine ist, nämlich Christus, so wie derselbe Apostel wiederum sagt (Gal. 3,27 f.): Wer immer auf Christus getauft ist, hat Christus angezogen; es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht mehr Männer und Frauen, nicht mehr Sklaven und Freie, sondern alle sind eins in Christus. Das also ist der Zeitpunkt, an dem der Mensch von Gott geschaffen wird, wenn er aus einer Vielfalt von Menschen zu einer Einheit wird, nicht wenn er aus der Einheit in eine Vielfalt aufgesplittert wird. Aufgesplittert aber hat uns jene erste Geburt, d.h. die leibliche; die zweite, die geistige und von Gott kommende, macht uns zu einer Einheit; deshalb waren wir völlig zurecht der Ansicht (cf. 717,18), dass die Geburt des Leibes der Natur, jene zweite Geburt aber der überirdischen Majestät zuzuschreiben ist. Deshalb sagt nochmals der selbe Apostel zu den Korinthern (I Kor. 4,15): In Christus Jesus bin ich durch das Evangelium zu eurem Vater geworden, und zu den Galatern über sich selber (Gal. 1,5 f.): Als es ihm gefiel, mich vom Schoss meiner Mutter zu trennen, um seinen Sohn in mir zu offenbaren, damit ich ihn unter den Heiden verkündige, da folgte ich nicht dem Fleisch und Blut. Du siehst also, wie der Apostel überall Gewicht darauf legt, dass wir bei dieser zweiten, nämlich der geistigen Geburt, von Gott geformt werden, nicht aber bei jener früheren, von Unsittlichkeit und Schamlosigkeit geprägten Geburt, bei der wir – nicht besser und nicht reiner als die übrigen Lebewesen – im Mutterleib empfangen, geformt und zur Welt gebracht werden. Wenn ihr bereit seid, über diese Sache genauer nachzudenken, werdet ihr entdecken, dass wir uns für einmal von euch nicht durch das Bekenntnis (nämlich, dass der Mensch von Gott erschaffen ist), sondern durch dessen Interpretation unterscheiden, da ihr euch ja dafür entschieden habt, die Würde, von Gott geformt zu sein, dem Alten und Äusseren und Irdischen Menschen zuzusprechen, wir aber umgekehrt bestimmt haben, diese Würde dem Himmlischen, Inneren und Neuen Menschen zu verleihen, und zwar nicht blindlings und aus Anmassung, sondern weil wir es von Christus und seinen Aposteln gelernt haben, die nachweislich als erste diese Lehre in der Welt verkündet haben.
