1.
Faustus sagte: Anerkennst du den Apostel? Voll und ganz! Warum also glaubst du nicht daran, dass der Sohn Gottes aus dem Samen Davids geboren wurde dem Fleische nach (cf. Röm. 1,3)? Für mich wäre es undenkbar, dass der Apostel Gottes sich in seinen Schriften selbst widersprochen und bald die, bald jene Aussage über unsern Herrn gemacht hätte. Da nun aber obige Schriftstelle eurer Lehre entspricht, und da ihr immer äusserst gereizt reagiert, wenn ihr zu hören bekommt, dass beim Apostel etwas gemauschelt wurde (cf. II Kor. 2,17), so wisse, dass nicht einmal diese Aussage für uns zwingend einen Widerspruch bedeutet, falls sich nämlich zeigen lässt, dass dies die alte und früher gültige Meinung des Paulus über Jesus darstellt, aus einer Zeit, da er selber ihn wie alle andern als Sohn Davids ansah, eine Meinung, die er dann aber, sobald er ihre Falschheit erkannt hat, zurechtrückt und für ungültig erklärt, indem er im Brief an die Korinther sagte (II Kor. 5,16): Wir kennen nun keinen dem Fleische nach; und wenn wir je Christus dem Fleische nach gekannt haben, jetzt kennen wir ihn nicht mehr so. Überleg dir nun also, wie sehr sich die Aussagen dieser zwei Schriftstellen unterscheiden, deren eine (Röm. 1,3) Jesus als Sohn Davids dem Fleische nach darstellt, die andere aber (II Kor. 5,16) erklärt, dass er nun keinen mehr dem Fleische nach kenne. Wenn diese Stellen beide paulinisch sind, dann werden sie es in dem Sinn sein, den ich genannt habe, oder aber eine von beiden ist nicht paulinisch. Der Apostel fährt schliesslich fort mit den Worten (II Kor. 5,17): Wenn es also in Christus eine Neuschöpfung gibt, ist das Alte vergangen; siehe, es ist alles neu geworden. Du siehst also, dass er jenen früheren Glauben, nämlich Jesus stamme aus dem Samen Davids dem Fleische nach als alt und vorläufig bezeichnet, diesen zweiten aber, dass er nun keinen mehr dem Fleische nach kenne als neu und bleibend. Deshalb sagte er auch an anderer Stelle (I Kor. 13,11): Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, empfand ich wie ein Kind, dachte ich wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, entledigte ich mich dessen, was zum Kind gehörte.
Wenn man sich das anhört, was tun wir denn eigentlich Unwürdiges, wenn wir uns an das neue und bessere Bekenntnis des Paulus halten und das alte und geringere verwerfen? Anders formuliert: wenn es euch am Herzen liegt, das zu glauben, was er an die Römer schreibt, warum sollte es uns nicht erlaubt sein, das zum Dogma zu erheben, was er an die Korinther schreibt?
Obwohl auch dies meine Antwort auf eure Starrköpfigkeit (cf. Mt. 19,8) sein könnte, sei im übrigen der Gedanke fern, dass der Apostel Gottes je wieder abreisst, was er aufgebaut hat, um sich nicht selber zum Abtrünnigen zu machen, wie er bezeugt hat (cf. Gal. 2,18). Doch wenn jene frühere Aussage (sc.Röm. 1,3) paulinisch ist, dann ist sie jetzt (sc.II Kor. 5,16) korrigiert worden; wenn es aber unschicklich ist, anzunehmen, dass Paulus je etwas verlauten liess, das nicht vorher gründlich überprüft war, dann ist sie nicht paulinisch.
