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Augustinus antwortete: Warum bezeichnet dann der Apostel, der nach deiner Darstellung mit dem Verlassen des Judentums von der Bitternis zur Süsse übergewechselt hat, vielmehr jene Juden, die nicht an Christus glauben wollten, als Zweige, die aus dem Baum mit den süssen Früchten herausgebrochen wurden, dagegen die Heiden als Zweige des Wilden Ölbaums, die auf der Wurzel des Edlen Ölbaum, d.h. auf dem Ursprung der heiligen Hebräer, aufgepfropft wurden, damit sie Anteil bekämen an der Süsse des Edlen Ölbaums? Denn an jener Stelle, wo er die Heiden an den Fall der Juden erinnerte, damit sie selber nicht übermütig würden, sagte er folgendes (Rm. 11,13 ff.):
Euch aber, den Heiden, sage ich: Solange ich Apostel der Heiden bin, will ich meinen Dienst preisen, wenn ich damit meine fleischlichen Stammesgenossen irgendwie zur Eifersucht reizen und einige von ihnen retten kann. Wenn nämlich deren Verwerfung Versöhnung mit der Welt bedeutet, was wird dann ihre Annahme anderes sein als Wiederaufleben von den Toten. Wenn aber die Erstlingsgabe vom Brotteig heilig ist, dann ist es der ganze Teig; und wenn die Wurzel heilig ist, dann auch die Zweige. Wenn aber einige der Zweige herausgebrochen wurden, du aber, obwohl Zweig vom Wilden Ölbaum, an deren Stelle eingepfropft und Teilhaber an der Wurzel und der Süsse des Edlen Ölbaums wurdest, erhebe dich nicht über jene Zweige! Wenn du dich aber über sie erhebst, wisse: Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich. Nun sagst du: ‘Aber die Zweige wurden herausgebrochen, damit ich eingepfropft werde’. Richtig! Wegen ihres Unglaubens wurden sie herausgebrochen. Du aber stehst fest wegen deines Glaubens; denke nun nicht überheblich, sondern fürchte dich! Denn wenn Gott die natürlich gewachsenen Zweige nicht geschont hat, wird er auch dich nicht schonen. Du erkennst also die Güte Gottes und seine Strenge: die Strenge gegen jene, die gefallen sind, dir gegenüber die Güte, sofern du in deiner Güte bleibst; andernfalls wirst auch du herausgeschnitten werden. Ebenso werden auch jene, wenn sie nicht in ihrem Unglauben verharren, eingepfropft werden; denn Gott hat ja die Macht, sie wieder einzupfropfen. Denn wenn du aus dem von Natur aus Wilden Ölbaum herausgehauen und gegen deine Natur in den Edlen Ölbaum eingepfropft wurdest, wie viel eher werden jene, die die entsprechende Natur besitzen, in ihren ureigenen Edlen Ölbaum eingepropft werden! Ich will euch nämlich, meine Brüder, damit ihr nicht auf eure eigene Einsicht baut, nicht in Unkenntnis lassen über dieses Heilsgeheimnis: Blindheit hat einen Teil Israels erfasst, bis die Heiden in voller Zahl das Heil erlangt haben; und dann wird ganz Israel gerettet werden. Daraus erseht ihr, dass ihr mit eurer Weigerung, euch auf jene Wurzel des Edlen Ölbaums aufpfropfen zu lassen, zwar nicht, wie die fleischlich gesinnte und gottlose Masse des Jüdischen Volkes, den ausgebrochenen Zweigen ähnlich seid, dafür aber in der Bitternis des Wilden Ölbaums verharrt. Denn nach was anderem als nach dem Wilden Ölbaum der Heiden riecht es, wenn ihr Sonne und Mond anbetet? Es sei denn, dass ihr euch deshalb nicht mehr als Zweig am Wilden Ölbaum der Heiden vorkommt, weil ihr euch eine neue Art Dornen zugelegt habt, indem ihr, nicht mit Künstlerhand, sondern mit eurem irregeleiteten Geist, einen falschen Christus geformt habt, um ihn zusammen mit Sonne und Mond zu verehren. Lasst euch also auf die Wurzel des Edlen Ölbaum aufpfropfen, wohin der Apostel zu seiner grossen Freude wieder zurückgelangt ist, der ja wegen seines Unglaubens zu den herausgebrochenen Zweigen gehört hatte! Aus diesem Zustand sei er befreit worden, sagt er nämlich da, wo er seine Freude ausdrückt, dass er vom Judentum zu Christus übergegangen ist; denn Christus ist ja immer in jener Wurzel und in jenem Baum verkündet worden, und wer bei seiner Ankunft nicht an ihn glaubte, ist daraus herausgebrochen, wer an ihn glaubte, darin eingepfropft worden. Damit letztere aber nicht überheblich werden, wird ihnen gesagt (Rm. 11,20 f.): Denke nun nicht überheblich, sondern fürchte dich! Denn wenn Gott die natürlich gewachsenen Zweige nicht geschont hat, wird er auch dich nicht schonen. Damit aber auch die Hoffnung für die ausgebrochenen Zweige bestehen bleibt, sagt der Apostel kurz nachher (Rm. 11,23 f.): Ebenso werden auch sie, wenn sie nicht in ihrem Unglauben verharren, eingepfropft werden; denn Gott hat ja die Macht, sie wieder einzupfropfen. Denn wenn du aus dem von Natur aus Wilden Ölbaum herausgehauen und gegen deine Natur in den Edlen Ölbaum eingepfropft wurdest, wie viel eher werden jene, die die entsprechende Natur besitzen, in ihren ureigenen Edlen Ölbaum eingepfropft werden! Da siehst du, worauf auch der Apostel stolz ist: dass er befreit wurde aus jenem Zustand des Herausgebrochenseins und wieder zu jener fettspendenden Wurzel zurückgelangt ist. Wenn es also unter euch solche gibt, die durch ihre Gottlosigkeit aus dieser Wurzel herausgebrochen wurden, sollen sie zurückkommen und sich ihr wieder aufpfropfen lassen; wer aber noch nie Zweig am Edlen Ölbaum war, soll sich aus der ihm von seiner Natur gegebenen Unfruchtbarkeit wegschneiden lassen und kommen, um sich Anteil an der Fruchtbarkeit zu erwerben!
