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Er nahm sie dankbar an. Hierauf riefen uns die Schiffsleute ans Gestade zurück; so schieden wir von ihm. Nach glücklicher siebentägiger Fahrt langten wir in Alexandrien an. Hier lagen Bischöfe und Mönche in S. 76schimpflichem Zwiste miteinander1 . Veranlassung oder Ursache davon war: die Bischöfe hatten auf mehreren Versammlungen durch verschiedene Dekrete verboten, die Schriften des Origenes zu lesen oder zu besitzen. Dieser Origenes galt zwar als der gelehrteste Ausleger der Hl. Schrift, allein die Bischöfe wiesen auf manche Stellen in seinen Büchern hin, die ungesunden Geist verrieten; seine Anhänger wagten nicht, diese Sätze zu verteidigen, behaupteten vielmehr, sie seien von den Häretikern in betrügerischer Weise eingeschoben worden2 ; man dürfe daher der Stellen wegen, die mit Fug und Recht getadelt werden, nicht auch alles andere verwerfen. Der Glaube der Leser könne ja leicht soweit unterscheiden, daß er keine Fälschung annehme und das beibehalte, was im katholischen Geiste geschrieben sei. Man dürfe sich aber nicht darob wundern, daß häretischer Betrug sich an neue, unlängst geschriebene Bücher gewagt habe; er habe sich ja mancherorts nicht gescheut, sich an der Wahrheit des Evangeliums zu vergreifen. Indes die Bischöfe blieben hartnäckig bei ihrem Widerstand und zwangen kraft ihrer Amtsgewalt dazu, mit dem Schlechten und mit dem Verfasser selbst auch alles Gute zu verwerfen; es gebe ja noch Bücher mehr als genug, die in der Kirche Aufnahme gefunden hätten. Eine Lektüre, die den Unverständigen mehr Schaden, als den Verständigen Nutzen bringe, sei daher zu unterdrücken. Als ich manche Teile jener Werke mit mehr Aufmerksamkeit las, fand ich an sehr vielem S. 77Gefallen, an manchem stieß ich mich. Origenes ist an diesen Stellen ohne Zweifel nicht richtiger Ansicht; allein seine Verteidiger erklären diese Stellen für gefälscht. Ich muß mich wundern, daß ein und derselbe Mann solche Gegensätze in sich vereinigen konnte. Da wo er Billigung verdient, hat er nicht seinesgleichen seit den Aposteln; dagegen behauptet man, da wo er mit Recht Tadel finde, sei niemand auf schimpflichere Irrwege geraten3 .
Hiermit sind die origenistisehen Streitigkeiten gemeint, zu denen eine Predigt des Bischofs Epiphanius von Salamis in der Grabkirche zu Jerusalem die nächste Veranlassung war [394]. Der Streit wurde zuerst zwischen Epiphanius und Hieronymus als Gegnern und dem Bischof Johannes von Jerusalem mit Rufinus als Verteidigern des Origenes geführt. Theophilus von Alexandrien sprach sich auf einer Bischofsversammlung [399 oder Anfang 400] in Nitrien, wo Origenes unter den Mönchen begeisterte Anhänger hatte, gegen Origenes aus. Dasselbe tat er im Osterfestbrief 401. Die Mönche beruhigten sich nicht. Deshalb ließ Theophilus im August 401 gegen 300 Mönche mit Militärgewalt aus ihren Klöstern vertreiben. ↩
Gegen diese Ausflucht wendet sich Hieron. Ep. 97. 2 Ep. 84, 10. ↩
Vgl. Cassiodor, De instit. div. litt. 1: „ubi bene, nemo melius, ubi male, nemo peius.“ ↩
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