1.
S. 124"Gallus, der Tag graut schon1 , wir müssen uns erheben. Du siehst ja, wie Postumianus drängt, und dieser Priester hier, der gestern um die Freude kam, zuhören zu können, wartet auch, daß du dein Versprechen einlösest und uns von Martinus erzählest, was du für heute aufgespart hast. Er kennt zwar schon alles, was zu berichten ist; allein es ist immer erfreulich und angenehm, auch schon Bekanntes sich wieder zu vergegenwärtigen, Es ist ja uns Menschen von Natur aus eigen, daß wir uns mit größerer Zuversicht zu wissen freuen, was wir durch das Zeugnis vieler bestätigt finden. Dieser Priester hat sich ja schon in frühester Jugend an Martinus angeschlossen und weiß daher schon alles; allein gerne läßt er schon Bekanntes wieder an sich vorüberziehen. Auch ich muß dir, Gallus, gestehen, mehr als einmal habe ich schon von den Wundertaten des Martinus vernommen; ich habe ja auch vieles über ihn geschrieben — aber immer zeigt mir die Bewunderung seiner Taten das in neuem Lichte, was ich wieder überdenke, wenngleich ich es schon öfter gehört habe. Wir wünschen uns herzlich dazu Glück, daß wir an Refrigerius einen neuen Zeugen gewonnen haben. Um so bereitwilliger wird jetzt unser Postumianus, der die Kunde hiervon dem Morgenlande rasch übermittelt, die Wahrheit aus deinem Munde entgegennehmen, da sie durch Zeugen erhärtet ist."
Während ich so sprach und Gallus sich schon anschickte, mit der Erzählung zu beginnen, stürmte eine S. 125Schar Mönche2 daher, der Priester Evagrius3 , Apers4 , Sabbatius5 und Agricola; bald darauf trat unser Priester Ätherius ein mit dem Diakon Calupio und dem Subdiakon Amator6 , zuletzt mein liebster Freund, der Priester Aurelius"7 ; er hatte einen längeren Weg zurückgelegt und war ganz außer Atem. "Was gibts?" frage ich. "Warum lauft ihr denn so plötzlich und unerwartet aus allen Himmelsrichtungen am frühen Morgen hier zusammen?" "Wir", so antworten sie, "haben gestern erfahren, dieser Gallus habe den ganzen Tag von den Wundertaten des Martinus erzählt, die Nacht aber habe ihn dabei überrascht und deshalb habe er den Rest der Erzählung auf heute verschoben. Darum sind wir so zahlreich herbeigeeilt, um auch dabei zu sein, wenn er so Wichtiges erzählt."
Mittlerweile meldete man, viele Laien stünden vor der Türe; sie wagten nicht einzutreten, bäten aber um Einlaß. Da sagte Aper: "Es schickt sich durchaus nicht, daß diese sich zu uns gesellen; sie sind mehr aus Neugierde als in frommer Absicht, zuzuhören, gekommen." Mir ging das Los derer, die er nicht zulassen wollte, zu Herzen. Doch setzte ich schließlich mit vieler Mühe durch, daß man den früheren Vikarius Eucherius8 und den Statthalter Celsus9 einließ; die andern wurden abgewiesen. Dann richteten wir für Gallus in S. 126der Mitte einen Sitzplatz her. Er schwieg lange in seiner vornehmen Bescheidenheit. Endlich begann er also:
"Luoescit hoc" vgl. Plautus, Amph. 543 und Terenz Heaut. 410 [s. J. Bach in Studemunds Studien auf dem Gebiete des archaischen Lateins II [Berlin 1891] 189 f.]. ↩
Jedenfalls die Mönche, die mit Sulpicius Severua zu Primuliacum [s. S. 4 f.] waren. ↩
Aus Südgallien, Schüler des hl. Martin und dann des Sevorus, Verfasser der Altercatio Simonis Judaei et Theophili christiani [herausg. von Bratke 1904 im Wiener Corpus]. ↩
Es ist nicht sicher, ob dieser derselbe ist, an den Paulin Ep. 88; 89; 44 schrieb, s. Reinelt a. a. 0. 39. ↩
S. Vita 23, 7. ↩
Ätherius, Calupio und Amator hatten wahrscheinlich den Gottesdienst an der Pfarrkirche zu Primuliacum zu besorgen. ↩
An den Severus Ep. II schrieb. ↩
War Oheim des Kaisers Theodosius, 377 Coniea sacrarum largitionum 380 Prokonsul in Afrika, 381 Konsul; wann und wo er als Vicarius eine Diözese [s. S. 24 Anm.] verwaltete, ist nicht bekannt [Pauly s. v.] ↩
Ein Celsus war 385 Praefectus annonae in Rom ↩
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