8. Kap. Um bei den Gläubigen Zweifel zu erregen, mißbrauchen die Häretiker die Aufforderung Christi: „Suchet und ihr werdet finden.“
Damit komme ich auf die Bibelstelle, die einerseits die Unserigen als Vorwand gebrauchen, um Grübeleien anzufangen, und womit andererseits die Häretiker den Leuten in den Ohren liegen, um ihnen beunruhigende Zweifel aufzudrängen. Es steht geschrieben, sagen sie; „Suchet und ihr werdet finden“1. - Erinnern wir uns an den Zeitpunkt, wann der Herr diesen Ausspruch getan hat. Mich dünkt, gerade beim ersten Anfang seines Lehramtes, als es noch für alle zweifelhaft war, ob er Christus sei, zu einer Zeit, da ihn Petrus noch nicht als den Sohn Gottes bekannt und auch Johannes2 sogar seine frühere Überzeugung in Betreff Christi verloren hatte. Mit Recht hieß es also damals: „Suchet und ihr S. 315werdet finden“, zu einer Zeit, als der noch gesucht werden mußte, der noch nicht erkannt worden war. Auch galt das nur in Bezug auf die Juden. Denn nur an sie, die im Besitz der Mittel waren, Christus zu suchen, ist jene ganze Zurechtweisung gerichtet. Sie haben, heißt es, Moses und Elias3, d. h. das Gesetz und die Propheten, welche Christum verkündigten. Demgemäß wird anderwärts mit klaren Worten gesagt: „Forschet in den Schriften, in welchen ihr das Heil zu finden hoffet, sie sind es, die von mir reden“4. Das wäre das: „Suchet, und ihr werdet finden.“
Auch die folgende Aufforderung: „Klopfet an und es wird euch auf getan werden“5 geht offenbar auf die Juden. Die Juden waren vorher in Gottes Hause gewesen, darnach wurden sie hinausgeworfen und fingen an, draußen zu sein. Die Heiden aber waren niemals bei Gott, sie waren nur das Überlaufende vom Eimer, der Staub von der Tenne6 und waren immer draußen gewesen. Wer also immer draußen gewesen, wie wird der dort anklopfen, wo er niemals war? Wie kennt er denn die Tür, durch die er niemals eingelassen oder hinausgeworfen worden war? Wird nicht vielmehr der, welcher weiß, daß er drinnen gewesen und hinausgebracht worden ist, es sein, der die Türe kennt und anzuklopfen hat? Auch die Worte: „Bittet und ihr werdet erhalten“ passen nur auf den, der wußte, von wem er es erbitten muß, und von wem etwas versprochen worden war, nämlich vom Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Die Heiden aber kannten ihn ebensowenig, als irgendeine seiner Versprechungen. Deshalb sagte Christus auch zu Israel: „Ich bin nur gesendet zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“7. Noch hatte er den Hunden das Brot der Kinder nicht hingeworfen, noch hatte er den Weg zu den Heiden nicht zu gehen befohlen. Denn erst am Ende befiehlt er, sie sollen die S. 316Heiden lehren und taufen, da sie bald den Hl. Geist, den Tröster erhalten würden, der sie in alle Wahrheit einführen werde. Und somit tut er dies zu jenem Zweck8. Wenn nun die zu Lehrern der Heiden bestimmten Apostel selbst erst noch den Paraklet als Lehrer erhalten sollten, so hatte das: „Suchet und ihr werdet finden“ noch viel weniger eine Beziehung auf uns, denen ohne unser Zutun die Lehre durch die Apostel zukommen sollte, wie den Aposteln wiederum durch den Hl. Geist. Alle Aussprüche des Herrn sind zwar für alle hingestellt - durch das Ohr der Juden sind sie bis zu uns gelangt - aber viele an Personen gerichtete stellen für uns keine uns angehende Ermahnung, sondern nur ein Beispiel9 auf.
Matth. 7, 7. ↩
der Täufer; vgl. Matth. 11, 2. ↩
Elias findet sich aber in der betreffenden Stelle Luk. 16, 29 nicht genannt. Tertullian zitiert also hier aus dem Gedächtnis. ↩
Joh. 5, 39. ↩
Matth. 7, 7. ↩
Jes. 40, 15. ↩
Matth. 15, 24. ↩
Et hoc ergo illo facit = Er sendet, wie er es versprochen hatte, den Hl. Geist zu diesem Zweck; illo, nach der Erklärung von Rauschen = eo i. e. eum ad finem. ↩
aus dem wir eine Belehrung oder Warnung schöpfen sollen. ↩
